Der Baliem-Fluss im gleichnamigen Tal spaltet das undurchdringliche Grün des Regenwaldes.

Foto: Michael Grünwald

Hier leben Menschen, die uralte Traditionen pflegen - aber wie lange noch?

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Kapitel 1: Von einer Reise an den Rand einer vergessenen Welt

Wo liegt Irian Jaya? Oder Papua Barat? Oder West-Papua, wie es auch genannt wird? Vielleicht sogar Neuguinea? Der unnahbare, zerfurchte Koloss im fernen Osten des Staates Indonesien, gleichzeitig drittgrößte Insel der Erde und - wie kann es anders sein - Hot Spot der Artenvielfalt, trägt viele Namen.

Erst kürzlich ist die wie die Silhouette eines Laufvogels geformte Insel durch ein neu entdecktes Tal in die wissenschaftlichen Schlagzeilen geraten. In den so genannten Foja-Bergen sollen Tiere existieren, die, ganz so wie auf Galapagos, keine Scheu vor Menschen zeigen. Längst ausgestorben geglaubte Baumkängurus, seltene Ameisenigel, Vögel mit gelben Ohrläppchen und allerhand kleines, sperriges Getier.

Als würde mich die Zeit ins 15. Jahrhundert zurückschleudern, begegne ich einer Terra Incognita mit kartierten Küsten, aber unzähligen weißen Flecken im Hinterland. Unendlich weite Sumpfwälder, deren Bezwingung schon allein aus menschlich-psychologischen Gründen scheitern muss und Täler, die so scharf eingeschnitten sind, dass sich hinter jedem erklommenen Pass ein neues Shangri-La vermuten lässt. Im östlichen zentralen Hochland der Insel, dort, wo das für Neuzeit-Abenteurer wohlbekannte Baliem-Tal in einer dem Wiener Becken ähnlichen Landschaftswanne mündet, befindet sich der Knotenpunkt der Insel - Wamena.

Von hier aus starten fast alle Expeditionen, Helikopter und Mini-Flugzeuge. Genau hier wird geplant, eingekauft, vorbereitet, werden Träger und Führer angeheuert. Fast so wie in Katmandu, doch verborgener, unbekannter. Das sich dieser Zustand sehr schnell ändern kann, liegt nicht nur auf der Hand, sondern auch im Sinne der javanischen Bevölkerung, welche das größte Territorium Melanesiens in den 60er Jahren besetzt und seit dem nicht mehr verlassen hat. Eine Provinz, die danach schreit, in den Pazifik abzudriften, um jene indonesische Politik abzuschütteln, die der Quantität willen einen Vielvölkerstaat errichtet hat. Doch die befreiende Tektonik lässt auf sich warten. Und so müssen mehr als tausend Völker, von denen sich viele tief in die Täler zurückgezogen haben oder seit jeher gar nicht erst aufgetaucht sind, mit einer unerwünschten, doch stärkeren Übermacht zusammenleben. Viele von ihnen wissen gar nicht, dass sie es tun. Viele wissen nicht mal, dass man ihr Land zu Indonesien zählt. Und viele wissen auch nicht, dass es Indonesien gibt oder dass sich der Inselstaat auf einem Planeten befindet, der sich um die Sonne dreht.

Doch das sind andere Geschichten. Ich hingegen widme mich einem Volksstamm, der seine Bekanntheit in der westlichen Welt einem Österreicher zu verdanken hat: Heinrich Harrer. In den 60er Jahren, kurz nachdem Irian Jaya oder West Papua von Indonesien annektiert worden war, unternahm der längst zum Abenteurer geeichte große Entdecker eine erste Expedition vom zentralen Hochland bis an die Flachlandküsten im Süden der Insel. Sein Weg führte ihn durch ein majestätisches, atemberaubendes Tal, in dessen Talkessel ein bräunlich schäumender, unruhiger Fluss auf brutal anmutende Art und Weise das üppige Grün der Landschaft spaltet: der Baliem-Fluss.

Das nach dem Fluss benannte Tal ist die Heimat zäher, genügsamer Bergbauern, die zum Volk der Dani gehören. Gemeinsam mit den Lanis, die im Wettbewerb ums Überleben die steilen Wald- und Wiesenhänge der Baliem-Schlucht räumen mussten, spiegeln sie wie kein anderes Volk die Gratwanderung zwischen Vergangenheit und Zukunft wider. Was Harrer vielleicht damals schon prophezeit hat, ist mittlerweile bei den Danis, und zur Gänze schon bei den Lanis eingetreten.

Die Aufgabe steinalter Traditionen hallt wie Axtschläge durch den immerfeuchten Nebelwald des Hochlandes. Der Donner ist ohrenbetäubend. Wie leicht geht es von der Hand, einen Baum zu fällen, der tausend Jahre lang überlebt und in mühsamster Geduld ein sensibles Buch aus Jahresringen geschrieben hat? Ein Donner, der lange anhält, wird irgendwann nicht mehr wahrgenommen. Es passiert, und es ist unausweichlich.

Ich selbst hatte das Glück, zu einer Zeit nach West-Papua zu reisen, in welcher sich die Übergabe der alten Werte an die neue Generation noch nicht ganz vollzogen hat. Die Wanderung durch eine monumentale und ebenso mythische wie poetische Welt hat mich selbst zu einem Harrer der Gegenwart werden lassen, zu einem Berichterstatter akuter Verhältnisse. (Michael Grünwald) Am Freitag, 25. Mai ab 17 Uhr lesen Sie mehr im zweiten Teil der Gesichte: Die erste Begegnung