"Besen, bitte!": Nach der Ausschüttung mehrerer Becher blauer und grüner Acrylfarbe legt der Bischof des Aktionismus selbst Hand an.

Foto: STANDARD/Robert Newald

Gemälde an der Wand, Casulas katholischer Priester davor - und unterm Dach werken noch die Bauarbeiter: Work in progress in der Halle des künftigen Nitsch-Museums.

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Derzeit noch Lehmboden anstatt Beton: Hermann Nitsch auf dem Weg zur Gemäldeschüttung auf der Kunst-Baustelle.

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Ähnlichkeiten mit dem Wiener Museumquartier sieht Geschäftsführerin Romana Schuler in Mistelbach.

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Zwei Wochen vor der Eröffnung am 24. Mai lud der Künstler den Standard zur Gemälde-Schüttung ein.

Mistelbach – "Mehr Blau!", fordert Hermann Nitsch, "und das muss schnell gehen, bitte". In einem langen weißen Kittel, nur mit einigen roten Farbspritzern in Bauchhöhe, steht er inmitten einer großen Leinwandfläche.

Die liegt am Boden des künftigen Mistelbacher Nitsch-Museums und weist farbige Schüttspuren auf: blau, grün, orange, verteilt aus hohen Plastikbechern, die man im Haushalt auch zum Schlagobersschlagen verwendet. Wie Kelche hingereicht von den Assistenten Andreas "Andi" Stasta und Katharina Patyk. Mit ausladendem Schwung schließlich vom Künstler selber den Gesetzen der Schwerkraft überantwortet.

"Blau!", wiederholt Nitsch. Andi lässt das Gewünschte aus dem 10-Liter-Plastikacrylfarbtopf eilig in den Schlagobersbecher rinnen und rührt mit einem langen Schuhlöffel um. Katharina ist derweil zu Fuß unterwegs, immer hin und her über die Riesenleinwand: Körpergewicht auf Tennisschuhsohlen lässt die Farbe in die Leinwand eindringen und verteilt sie – wenn auch weniger flächig als jenes an einer handlichen Plastikstange befestigte Haushaltsutensil, das Nitsch nach dem neuerlichen Farb-Schwung abgeht: "Besen, bitte!", verlangt er.

Leinwand, Farbe, Becher, Assistentenfüße, Besen: Das sind an diesem Tag – zwei Wochen vor Museumseröffnung – die fassbaren Ingredienzien für Nitschs Malkunst. Nur im Ergebnis sichtbar hingegen ist das Kreative, das "bisschen Spontaneität", wie es der 69-Jährige im Gespräch selbst nennt: hier, in der früheren Fertigungshalle der Mistelbacher Pflug-Fabrik Heger mit ihrem filigranen Dachgestänge, die ab 24. Mai die wuchtigen Bilder und eine umfangreiche Dokumentation des "Orgien-Mysterien-Theater" als Gesamtkunstwerk des weltbekannten Weinviertlers beherbergen wird.

Kontemplativ

Bis zu diesem Termin braucht der Künstler noch "fünf große Bilder". Bei der Schüttung des ersten ließ er den Standard dabei sein: Vom Betreten der Museumshalle an – wie der Pfarrer in der Kirche durch einen Nebeneingang am Kopfende – über letzte Vorbereitungen, "Handschuhe, bitte", hin zu kontemplativen Momenten. Nitsch, mittelgroß mit Bart und Brille, am Leinwandrand auf einem Sessel sitzend im schwarzen Mantel über dem knöchellangen weißen Kittel, die Besenstange in der rechten Hand: ein später Bischof des Aktionismus.

Im Museum, dieser größten bisherigen Werkschau Nitschs auf 2600 Quadratmetern, wird dann unter jedem Bild eine Casula, der Soutanen-Überwurf eines katholischen Priesters, aus der umfangreichen Sammlung des Künstlers angebracht sein. Derzeit liegen die vielfarbigen, sorgfältig bestickten Gottesdienst-Überkleider zur Auswahl nebeneinander auf dem Betonboden, umweht vom Geruch der Acrylfarben, umspült von Bohr- und Fräsgeräuschen und dem Dudeln eines Radios.

Frühchristlich

Aus der Halle führt eine Stiege bergab, hinein in eine Krypta. Grauer Beton, in der Decke eine große runde Auslassung mit Blick auf die Gemälde. Hier soll das so genannte Asolo-Zimmer, eine Installation Nitschs für die Kasseler Documenta 1973, ausgestellt werden. Das frühe Werk im Untergrund, das aktuelle zu ebener Erde im Haupthaus: christliche Zitate auch an dieser Stelle.

Zurzeit jedoch sind in der künftigen Museumshalle, so wie auf dem Areal des aus Landes- und Gemeindemitteln um 4,8 Millionen Euro errichteten künftigen Museumszentrum Mistelbach überhaupt, noch heftig die Bauarbeiter am Werk. Gestapelte Isolierplatten, aus Mauern ragende lose Kabelbüschel, Lkw-Reifenspuren im ungeteerten Lehmboden: "Die Eröffnung am 24. Mai wird eine Teileröffnung sein", erklärt Museumszentrum-Geschäftsführerin Romana Schuler. In der Vergangenheit war sie für das Leopoldmuseum in der Bundeshauptstadt tätig: "Durch die offene Struktur wird das Mistelbacher Projekt dem Wiener Museumsquartier nicht unähnlich sein", meint die künftige Verwalterin des 6000 Quadratmeter große Areals mitten im Gewerbegebiet.

Regional

Neben dem Nitsch-Museum entstehen hier nach Plänen des Architekten Johannes Kraus, der auch den neuen Konzertsaal der Wiener Sängerknaben entworfen hat, das Museum "Lebenswelten Weinviertel". Es soll Geschichte und kulturelle Verbindungen der Region darstellen. Auch ein internationales Messwein-Archiv, ein Amphitheater im Freien und ein Straßencafé sind in Bau.

Konflikte mit den Einheimischen gebe es keine, sagt Nitsch-Museum-Gründer Wolfgang Denk. Im Gegenteil: "Der Nitsch ist einer von ihnen: ein Prinzendorfer Bauer." Nicht zuletzt deshalb habe sich Mistelbachs Bürgermeister Christian Resch "mit Enthusiasmus für dieses Haus eingesetzt".

Der Ortschef wird zusammen mit Landeshauptmann Erwin Pröll – auch er ein Kind des Weinviertels – die Eröffnung zelebrieren, Probst Maximilian Fürnsinn, der Mistelbacher Gemeindepfarrer Hermann Jedinger und der evangelische Superintendent Paul Weiland werden das Museumszentrum einweihen. Die Zeiten, da das Establishment gegen Nitschs Aktionen Sturm lief, sind eindeutig vorbei; nur die FPÖ Niederösterreich macht derzeit gegen das Museum mobil.

"Nichts macht so erfolgreich wie Erfolg", kommentiert dies Denk. Der einstige Gründer der Kunsthalle Krems findet es durchaus passend, dass Nitsch, der Tabubrecher von früher, sein Werk in den Kontext von Landeskultur und -politik stellt. "Regional ist nicht das Gleiche wie provinziell", betont er. (Irene Brickner)

Wein im Sonderzug: Wege und Umwege ins Museum

Mistelbach – Schon auf dem Weg zur Ausstellungseröffnung wird Weinviertler Wein kredenzt – für alle, die am 24. Mai um 15.50 Uhr den Gratis-Sonderzug nach Mistelbach nehmen. Die Einweihung findet um 18 Uhr statt.

Ab 25. Mai hat das Hermann-Nitsch-Museum in der Mistelbacher Waldstraße 44-46 jeweils Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr offen. Eintritt: sieben, ermäßigt fünf Euro. Montag ist Ruhetag, vom heurigen Pfingsten am 28./29. Mai abgesehen, wo Sonntag wie Montag von 14 bis 16 Uhr ein Fest stattfindet.

Zur Erstpräsentation von Nitschs Werk im Museum kommt im Hatje-Cantz-Verlag ein Katalog um 39,90 Euro heraus. Und auch auf Briefen wird die Museumseröffnung Spuren hinterlassen: Die Post gibt ab 23. Mai einen Sondermarkenblock "Hermann Nitsch" aus. (bri/ DER STANDARD, Printausgabe, 15.05.2007