Die Szene ist bezeichnend für den französischen Essayfilmer Chris Marker: Als spitzfindige Beobachtung in seiner dreistündigen dokumentarischen Collage Le fond de l’air est rouge (1977, 1993 aktualisiert), die sich mit der Geschichte der internationalen Linken zwischen 1967 und 1977 befasst, ist sie nur ein Detail. Aber gerade Markers bisweilen ironische Beobachtungsgabe, seine Faszination für die Überfülle an Informationen, die (Archiv-)Bilder bewahren – und die es sozusagen immer wieder neu zu bergen gilt –, zeichnet die Qualität seiner Arbeit aus.
Marker selbst ist und bleibt eine Sphinx. Über seinen Namen (angeblich Christian François Bouche-Villeneuve), seinen Geburtsort wie sein Aussehen finden sich widersprüchliche Angaben. Sicher ist – neben seiner Liebe zu Katzen –, dass er ursprünglich als Autor begann (unter anderem gibt es von ihm ein Buch zu Jean Giraudoux) und von den späten 50er-Jahren an zum Kreis der Pariser Rive-Gauche-Intellektuellen gehörte.
Sicher ist auch, dass seine frühen Arbeiten – etwa Les statues meurent aussi (1950, gemeinsam mit Alain Resnais) über die Verlängerung kolonialistischer Praktiken durch Museen – schon seinen Zugang zum Film als politisches Mittel verdeutlichen, wenngleich er diese Frühphase seines Werkes heute gerne ausklammert.
Marker bezeichnet 1962 als sein Jahr Null. Da realisierte er zum einen Le joli mai (gemeinsam mit Pierre Lhomme), seinen ersten Film in Direct-Cinema-Manier, der die Widersprüche der französischen Gesellschaft am Ende des Algerienkriegs thematisiert. Und, gleichsam nebenbei, La Jetée: seine vielleicht berühmteste Arbeit, ein paradoxes Zeit- und Erinnerungsrätsel in unbewegten Einstellungen, das Jahre später Terry Gilliam zu 12 Monkeys inspirierte.
Neue Angelpunkte
Tatsächlich ließe sich das ganze Schaffen Markers entlang der Achsen von Geschichte und Erinnerung beschreiben. Entweder er arrangiert eine vielschichtige Auseinandersetzung über das Verhältnis der Bilder zum Gedächtnis wie in Sans soleil, oder er holt aus der Historie eine Position hervor, greift dabei auf vorhandenes Bildmaterial zurück, um es dialektisch zu umzuschichten – bis sich die Historie aus einem neuen Angelpunkt betrachten lässt.
Eine seiner prägnantesten Arbeiten in dieser Hinsicht, Le tombeau d’Alexandre (1993), nimmt Leben und Werk des sowjetischen Filmemachers Alexander Medwedkin zum Anlass, die Geschichte der UdSSR durch die Perspektive dieses Partisanen in den eigenen Reihen hindurch zu begreifen – dem Blick "eines Kommunisten in einem Land, in dem alle nur so taten, als seien sie Kommunisten", wie es ein Gefährte ausdrückt. Marker führt hier weiter, was André Bazin einmal die horizontale Montage nannte, die Sinn vor allem zwischen Kommentar und Bild (nicht nur zwischen Bildern) entfaltet.