STANDARD-Diskussion über europäische Justizzusammenarbeit im Wiener Juridicum (v. re.): EU-Kommissar Franco Frattini, Justizministerin Maria Berger, EU-Rechtlerin Alina Lengauer und Moderator Eric Frey.

Foto: Christian Fischer
Die Zusammenarbeit von Justiz und Polizei funktioniert in der EU immer besser - doch dies geht auf Kosten der Grundrechte, warnten EU-Kommissar Franco Frattini und Ministerin Maria Berger in einer STANDARD-Diskussion. Der EU-Verfassungsvertrag könnte helfen.

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Wien - Ein "Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Grundfreiheiten" sei das Hauptziel der EU auf dem Gebiet der Kooperation von Justiz und Polizei, erklärte EU-Justizkommissar Franco Frattini bei einer Podiumsdiskussion in Wien.

Aber während die europaweite Zusammenarbeit bei der Verbrechens- und Terrorbekämpfung seit 2001 große Fortschritte gemacht hätten - etwa durch die Einführung des Europäischen Haftbefehls -, sei die Absicherung der Grundrechte bisher am Widerstand mehrerer Staaten gescheitert, betonte Frattini im Einklang mit Justizministerin Maria Berger und der Europarechtsexpertin Alina Lengauer, die unter der Moderation von Standard-Redakteur Eric Frey am Donnerstag am Wiener Juridicum diskutierten.

So gebe es zwar "Einigkeit über den Datenaustausch, aber nicht über den Schutz der Privatsphäre", sagte der italienische EU-Politiker. "Denn einige Mitgliedsstaaten fürchten um ihre Macht, Straftaten zu verfolgen." Sechs EU-Staaten - Großbritannien, Irland, Tschechien, Slowakei, Zypern und Malta - haben bisher die angestrebte Harmonisierung der Verfahrensrechte in der EU blockiert. Er sei aber zuversichtlich, dass es beim Ministertreffen im Juni zu einer Einigung kommen werde.

Verfassungsbedenken

"Bisher waren die Maßnahmen im Strafrecht vor allem von repressiver Natur - etwa eine längere Liste von Straftaten, höhere Strafen und schnellere Kooperation", sagte Berger. "Nun müssen auf der EU-Ebene auch die Bürgerrechte erweitert werden."

Ohne einheitliche Verfahrensrechte gebe es massive Verfassungsbedenken gegen den Europäischen Haftbefehl, sagte Lengauer, die das Institut für Europarecht an der Uni Wien leitet. Denn die erleichterte Auslieferung mutmaßlicher Straftäter sei nur akzeptabel, wenn alle Bürger volles Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit ihrer EU-Partnerländer hätten. Dies sei derzeit nur zum Teil gegeben.

Das größte Hindernis für eine verstärkte Justizkooperation in der EU sei die notwendige Einstimmigkeit bei fast allen Beschlüssen, betonte Frattini. Um dies zu umgehen, müsste endlich der EU-Verfassungsvertrag in Kraft treten, der Mehrheitsbeschlüsse in diesem Bereich zulassen würde.

Auch im Zivilrecht ist laut Berger eine stärkere EU-Harmonisierung EU dringend notwendig. Die ehemalige Abgeordnete im Europaparlament verwies auf die zahlreichen grenzüberschreitenden Erbschafts-, Scheidungs- und Obsorgefälle in der EU, wo von Land zu Land andere Regeln gelten würden. "Die EU muss mehr als der Binnenmarkt und die Währungsunion sein, denn gerade die Bereiche Freiheit, Sicherheit und Recht betreffen die Menschen in ihrem alltäglichen Leben", sagte Berger. "Wir haben hier zu spät begonnen, und das Ergebnis ist durchwachsen."

Probleme sieht Frattini auch bei der Einwanderungspolitik, wo manche Länder viel größere Lasten tragen als andere. So sei Schweden derzeit das Hauptziel irakischer Flüchtlinge, und die Hilfsbereitschaft anderer EU-Staaten sei gering. "Ich bin derzeit damit beschäftigt, 18 Flüchtlinge in einem anderen EU-Land unterzubringen", beschrieb Frattini die europäische Realität.

Dringend notwendig sei eine Einigung zwischen EU und USA über den Transfer von Flugpassagierdaten bis zum Sommer, sagte der Kommissar. Denn sonst würde Washington bilaterale Abkommen mit europäischen Fluglinien abschließen, und der Datenschutz dabei unter die Räder kommen. (DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.5.2007)