Ginge es nach den Umfragen, dann ist die Präsidentenwahl in Frankreich schon entschieden. Demnach müsste Nicolas Sarkozy am Sonntag im Triumphzug den Pariser Elysée erobern, mit rund 53 Prozent an Wählerstimmen – wenn nicht gar sieben Prozent Vorsprung auf Ségolène Royal.

Eine Vielzahl von politischen Experten bestätigt diesen Befund. Und das schlägt sich auch in den Leitartikeln quer durch Europa nieder, die nach dem superspannenden TV-Duell der beiden Kandi_daten erschienen sind. Tenor: Sarkozy habe sich zum starken „Volkstribun in bonapartistischer Tradition“ (Neue Zürcher Zeitung) gemausert. Nur er sei in der Lage, dem Land die notwendige Rosskur an Liberalisierung der Wirtschaft zu verpassen, wie der britische Economist in einer Wahlempfehlung für den konservativen Parteichef konstatierte.

Royal sei es im TV-Finale trotz extremer Angriffigkeit nicht gelungen, den Favoriten vorzuführen. Wenn sich die Meinungs- und Wahlforscher da nur nicht irren.

Zum einen, weil die Wirkung Royals auf die Bürger von denselben Kommentatoren bisher stark unterschätzt wurde. Als sie sich im Herbst innerhalb der SP um eine Kandidatur bewarb, wurde sie von den Parteigranden milde be_lächelt oder machomäßig verhöhnt. Bei der Urabstimmung stach sie alle Gegner glatt aus.

Beim ersten Wahlgang vor zwei Wochen wurde vorausgesagt, dass der Zentrumspolitiker François Bayrou und sogar der rechtsradikale Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl kämen, nicht sie. Der Abstand zu beiden war dann groß.

Zum anderen haben sich die Wähler bei wichtigen Wahlen in Europa seit Jahren selten an Umfragen gehalten:

In Deutschland regiert nicht ein christdemokratisch-liberales Bündnis, sondern eine große Koalition nach schwachem Abschneiden von Angela Merkel. In Österreich wurde Wolfgang Schüssel Zweiter, es wurde der „Verlierertyp“ Alfred Gusenbauer Kanzler. In den Niederlanden ist der Konservative Jan Peter Balkenende nicht in der Versenkung verschwunden.

Gerade die französischen Wähler haben oft ihre Unberechenbarkeit bewiesen – siehe das Nein zur EU-Verfassung. Wie immer sie votieren: Die Franzosen geben ein Signal für eines von zwei gesellschaftspolitischen Modellen, die sich diametral voneinander unterscheiden. Das Ergebnis wird für die übrigen europäischen Länder der Union von weit reichender Bedeutung sein.

In Frankreich selbst: Nicolas Sarkozy wird im Falle des Sieges den Versuch unternehmen, die verkrusteten Wirtschaftsstrukturen aufzubrechen, zu liberalisieren. Aber es besteht bei ihm, der den jugendlichen „Abschaum“ in den Vorstädten mit dem Dampfstrahler („Kärcher“) rausputzen wollte, die Gefahr, dass es zur weiteren Spaltung der Gesellschaft, zu Streiks, zur tiefen Krise kommt. Die Kernfrage ist: Gibt es tatsächlich eine Mehrheit für radikale Reformen, die dem einzelnen wehtun, oder sagt man das nur in Umfragen?

Ségolène Royal auf der anderen Seite verkörpert den Typ der nachhaltigen, aber im Stil sanften Verändererin. Nicht zufällig brachte sie im Wahlkampf die deutsche Kanzlerin Merkel und eine Zusammenarbeit mit ihr ins Spiel. Sie will – ganz unfranzösisch – sozialpartnerschaftlich vorgehen, will die sozial Schwachen stützen, Umweltschutz und Ausbildung ins Zentrum rücken.

Stichwort Europa: Die Stärkung dieser „weichen Politik“ würde Royal auch auf europäischer Ebene forcieren: Die ausgehandelte EU-Verfassung soll durch ein Sozialkapitel ergänzt und den Franzosen neuerlich zur Abstimmung vorgelegt werden. Von Sarkozy darf man sich wenig neue Anstöße erwarten, im Gegenteil. Er hat die EU-Verfassung für tot erklärt, will nur eine „kleine Institutionenreform“ und – ganz Rechtspopulist – den EU-Beitritt der Türkei verhindern. Das verspricht viel Zoff.

Eine der spannendsten Wahlen der letzten Jahre: Richtungswahl für Frankreich, Schlüsselwahl für die Europäische Union. Den Ausschlag werden die Jungen und die Mitte-Wähler geben. (Thomas Mayer/DER STANDARD, Printausgabe, 5.5.2007)