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Kate Winslet und Patrick Wilson in Todd Fields Suburbia-Drama "Little Children".

Foto: Reuters

... vermisst präzise Spannungsverhältnisse in einem Vorort von Boston.

Wien – Die junge Mutter, die mit ihrer Tochter jeden Tag auf dem Kinderspielplatz auftaucht, findet keinen Anschluss an die eingeschworene Elterngemeinschaft.

Sie wirkt fahrig, zerstreut, unsicher in ihrer Rolle als Außenseiterin und sogar unzuverlässig im Umgang mit ihrem Kind. Während nämlich die anderen Mütter pünktlich die Jausenbrote für den Nachwuchs auspacken, kramt sie hilflos in ihrer Tasche, um schließlich verlegen das fremde Angebot inklusive gutem Ratschlag, der einem Tadel gleichkommt, annehmen zu müssen.

Es sind Szenen wie diese, in denen der US-Regisseur Todd Field in seinem erst zweiten Spielfilm "Little Children" erneut seine Begabung für präzise Beobachtungen menschlichen Verhaltens in alltäglichen Ausnahmesituationen beweist.

Zeit: Ökonomie

Hier gibt es keinen insistierenden Blick oder dramatische Kamerafahrten, sondern ein richtiges Gefühl für Zeit und für die Ökonomie einzelner Szenen: Wie lange muss man etwa einer Situation wie dieser beiwohnen, damit sie ihre Wirkung entfalten kann? Wie lange muss man überhaupt Menschen beobachten, um ihr Verhalten zu verstehen?

Es mag an diesem besonderen Interesse Fields liegen, dass sich der ehemalige Schauspieler nach seinem Regiedebüt "In the Bedroom" nach sechsjähriger Pause erneut dem kleinstädtischen amerikanischen Milieu widmet, das unbedingten Gehorsam seiner selbsternannten sozialen Regeln verlangt – und bei Nichtbeachtung ebendieser die Unfolgsamen bitter bestraft.

Stand bei "In the Bedroom" noch eine Familientragödie in einem kleinen Küstenort in Maine im Zentrum des Geschehens, widmet sich Field in "Little Children" nun der Suburbia Bostons.

Soziale Spannung

Man braucht gar nicht die weißen Häuser mit ihren Vorgärten und Garagen zu sehen, wie sie etwa Sam Mendes in "American Beauty" – mit dem "Little Children" auch die Erzählerstimme teilt – instrumentalisiert hat, um ein Gefühl für die soziale Spannung zu bekommen, die hier über den Menschen liegt: Ein bedrohliches Empfinden begleitet unentwegt diesen Film, und die Rückkehr eines aus der Haft entlassenen Kinderschänders in den Ort ist dafür wahrlich nicht der Grund.

Nur zwei Menschen wagen den Ausbruch: Die Außenseiterin Sarah (Kate Winslet) und der Hausmann Brad (Patrick Wilson), Mutter und Vater in erstarrten Ehen, fassen den Mut zu einem gemeinsamen Neubeginn.

Arbeit: Flucht

Doch die Flucht wird, und das weiß man spätestens wenn Sarah auf "Madame Bovary" zu sprechen kommt und Brad allabendlich junge Skater beobachtet, zum Selbstbetrug – so wie die Kinder, auf die sich der Titel des Films bezieht, eigentlich ein Vorwand sind. Für die tägliche Arbeitsflucht in die Stadt, die belanglosen Gespräche, vor allem aber auch für die Verfolgung des Straftäters durch Schmierereien und Repressionen durch eine Art von Bürgerwehr.

Doch Field liegt nichts daran, diese reale Scheinwelt zu dekonstruieren, aus einer Bloßstellung des Milieus Gewinn zu schlagen, oder es gar für seine Zwecke zu missbrauchen: Hier sind die Geschehnisse, die kleinen wie die großen Tragödien, stets direkte Ergebnisse ihrer eigenen Umstände.

Die Kinder fungieren dabei als Wunsch- und Projektionsfläche zugleich, und das ist letztlich das wirklich Fatale: Sie tragen die Vorgaben und Vorurteile ihrer Eltern weiter in die Zukunft. (Michael Pekler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.5.2007)