Gusenbauer erinnerte sich in seiner gut viertelstündigen Rede an den in der Nachkriegszeit herrschenden "Geist der Lagerstraße" - die ÖVP blieb der Ansprache großteils fern.

Wien - Anlässlich des 62. Jahrestags der Gründung der zweiten Republik hat Bundeskanzler Alfred Gusenbauer am Freitag die geplante EU-Erweiterung am Balkan verteidigt. Die europäische Integration habe Europa eine jahrzehntelange Friedensperiode beschert. Die Einbindung der südosteuropäischen Nachbarländer werde dazu führen, dass Auseinandersetzungen wie im ehemaligen Jugoslawien künftig ausbleiben. Am Ende werde ein Europa stehen, dessen Mitglieder sich der Untaten der vergangenen Jahrhunderte "nur noch wie eines fernen, bösen Traumes erinnern werden".

"Historische Tatsache"

Die Regierung gedachte des Jahrestags der Unabhängigkeitserklärung von Nazi-Deutschland vom 27. April 1945 mit dem traditionellen Sonderministerrat nach einer Kranzniederlegung am Heldenplatz. Gusenbauer erinnerte im Anschluss an die Mitwirkung vieler Österreicher am Holocaust und betonte, Österreich sei 1945 nicht nur ein "Land der Opfer", sondern auch ein "Land der Täter" gewesen. "Mit dieser historischen Tatsache müssen wir leben." Ausdrücklichen Dank zollte der Kanzler seinem Vorgänger Wolfgang Schüssel für dessen Bemühungen um die NS-Entschädigungen (Nationalfonds und Versöhnungsfonds).

Gusenbauer erinnerte in seiner gut viertelstündigen Rede an den in der Nachkriegszeit herrschenden "Geist der Lagerstraße", die Kooperation aller relevanten politischen Kräfte und die Sozialpartnerschaft, ohne die der rasche Wandel Österreichs "vom armseligen Aschenputtel zur strahlenden und umworbenen Schönheit" nicht möglich gewesen wäre. "Die Erfolgsgeschichte dieses Landes war nur möglich, weil sie auf einem dauerhaften politischen und sozialen Konsens beruhte", so Gusenbauer. Dieser Grundwerte der Gründerväter müsse man sich angesichts der aktuellen Herausforderungen wieder besinnen.

Wenig VP-Besuch

Begleitet wurde Gusenbauer beim Sonderministerrat unter anderem von Vizekanzler Wilhelm Molterer und Innenminister Günther Platter, zahlreiche VP-Minister ließen sich jedoch entschuldigen. Nicht dabei waren unter anderem Wirtschaftsminister Martin Bartenstein und Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky (ersterer wegen eines EU-Termins, zweitere wegen einer Pressekonferenz), auch Außenministerin Ursula Plassnik und Landwirtschaftsminister Josef Pröll fehlten. Die SP-Minister waren bis auf Unterrichtsministerin Claudia Schmied, deren Budgetkapitel zeitgleich im Nationalrat debattiert wurde, vollzählig vertreten. (APA) (APA)