Johanna Ettl

Eric Frey sieht in seinem Kommentar im "Entzug des Vetorechts für große Lobbys eine große wirtschaftspolitische Chance" (DER STANDARD, 11. 7.) und meint damit offenkundig das fortgesetzte Bemühen der Regierung, die österreichische Sozialpartnerschaft zu ruinieren. Er konzediert zwar, dass der in Österreich praktizierte Interessenausgleich bis Mitte der 80er-Jahre ein Erfolg gewesen sei. Daraus muss man logischerweise den Schluss ziehen, dass die letzten 15 Jahre ein wirtschaftspolitischer Misserfolg gewesen wären.

Sehen wir uns doch einmal die Fakten an: Dabei bietet sich in besonderem Maße ein Vergleich mit zwei Ländern an, die bekanntermaßen mit Korporatismus und Interesensausgleich nicht viel im Sinn haben, dafür aber viel mit dem Einfluss wirtschaftlich starker Lobbys, nämlich Großbritannien und die USA:

BIP pro Kopf zu laufenden Preisen und Kaufkraftparitäten in Österreich, Großbritannien und den USA:

1985: 12.156 (100 %), 11.473 (100 %), 16.786 (100 %); 1987: 13.220, 13.200, 18.433; 1989: 15.401, 15.177, 21.042; 1991: 17.326, 15.588, 22.389; 1993: 19.167, 16.955, 24.252; 1995: 21.041, 18.233, 26.727; 1997: 23.077, 20.483, 29.326; 1998: 23.985 (197 % ), 21.170 (184 %), 30.514 (182 %); Quelle: OECD.

Diese Zahlen bedürfen wohl keiner näheren Kommentierung mehr. Dass auch die Entwicklung der Einkommensverteilung in den beiden Vergleichsländern nicht gerade in Richtung mehr Gleichheit gegangen ist, dürfte als hinlänglich bekannt vorausgesetzt werden. Nach einem vor einer Woche in der Financial Times veröffentlichten Artikel über eine Studie eines der führenden privaten Forschungsinstitute der USA sind in Amerika fünf Millionen Amerikaner von Armut betroffen, obwohl sie Arbeit haben.

Steuerübergewicht

Ein Zitat der Studienautorin: "Einfach nur über das ganze Jahr voll zu arbeiten reicht nicht aus, um jemanden über die Armutsgrenze zu heben." Kein Mensch würde behaupten, dass es in unserem Land keinen Reformbedarf gibt. Aber die bisherige Performance der Regierung ist nicht gerade von Zukunftsvisionen getragen: In einem ohnedies innerhalb der Industriestaaten durch ein Übergewicht der indirekten Steuern gekennzeichneten Land die Verbrauchssteuern und Gebühren zu erhöhen, die kleine Einkommensbezieher besonders belasten, ist nicht unbedingt als ein Fortschritt zu werten.

Das geplante Familienpaket ist eher von der Vision des 19. als jener des 21. Jahrhunderts geprägt und zudem sauteuer. Das "Mietverringerungspaket" führt bei näherer Hinsicht nicht zu niedrigeren Mieten, sondern lediglich zur Entrechtung der Mieter usw. . .

Im Übrigen wurde die Arbeiterkammer durch das neue Gesetz nicht brüskiert, wie Herr Frey schreibt, sondern nur in Erstaunen versetzt: rein sprachliches Umtextieren bereits seit längerem bestehenden Rechts ohne irgendeine nennenswerte materielle Änderung. Das torpedohafte Beschließen von Gesetzen, die zum Teil sogar Talmi sind, das gegeneinander Aufhetzen von Bevölkerungsgruppen und die Gefährdung des sozialen Friedens würde ich nämlich nicht gerade als große wirtschaftspolitische Chance bezeichnen.

Johanna Ettl, Arbeiterkammer Wien