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Plakat für das China-Afrika Forum 2006 in Peking

Foto: Reuters/Jason Lee

Die entwicklungspolitische Gemeinde im Norden hat ein neues Megathema. Mit Argusaugen wird beobachtet, welche Aktivitäten einige Schwellenländer in noch ärmeren Ländern des Südens entwickeln – von Rainer Falk.

Seit Venezuelas Präsident Hugo Chávez in Lateinamerika den Argentiniern geholfen hat, sich vom Internationalen Währungsfonds (IWF) loszukaufen, und die Chinesen ihre Hilfe für Subsahara-Afrika kräftig aufstocken, ist die westliche Gebergemeinschaft in heller Aufregung. Da kommt es dann schon einmal vor, dass sich ein ansonsten differenziert denkender Mann, wie der Chefredakteur des US-Magazins „Foreign Policy“, Moisés Naím, dazu hinreißen läßt, die neue Freigiebigkeit der „neuen Geber“ im Süden als „Rogue Aid“ – „Schurkenhilfe“ – zu bezeichnen.

Als Paradebeispiel für die neue Situation im internationalen Entwicklungsgeschäft zitiert Naím den Bericht eines befreundeten Weltbank-Mitarbeiters, wie die Chinesen der Weltbank in Nigeria Nigeria einen Großauftrag im Eisenbahnbau vor der Nase weggeschnappt haben. Statt wie die Weltbank fünf Millionen US-Dollar als Anschubfinanzierung für private Investitionen boten die Chinesen neun Milliarden Dollar für die Überholung eines kompletten Eisenbahnnetzes, und dies weitgehend ohne Bedingungen und Auflagen.

Noch keine Statistiken

Das Beispiel ist in der Tat symptomatisch dafür, dass die neue Konstellation in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) zunächst und vor allem „good news“ für die Empfängerländer im Süden ist: Durch die neuen Akteure kommt mehr Geld („fresh money“) in die globale EZA. Zwar gibt es bislang keine verlässlichen Statistiken, wie hoch die Summen insgesamt sind. Doch nach Einschätzung des Entwicklungshilfeausschusses der OECD könnte aus diesen Quellen schon bald 5-10% der weltweit vergebenen Entwicklungshilfe kommen.

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Die „neuen Geber“ liefern ihre Leistungen vielfach billiger als die „alten Geber“ – teilweise so günstig, daß die westlichen Industrieländer und ihre Konzerne nicht mehr mithalten können, selbst wenn sie es wollten. Dies bewirkt, dass am anderen Ende mehr ankommt – für dieselbe Summe an Krediten oder Schenkungen erhalten die armen Länder mehr an Waren oder Dienstleistungen.

Hilfe soll effizienter werden

Durch das Auftreten der „neuen Geber“ erhöht sich automatisch die Anzahl der Länder, die sich in der globalen EZA engagieren. Dies ist mehr als eine Frage der Zahlen, es bedeutet auch mehr Wettbewerb um die besten Entwicklungsmodelle, mehr Auswahlmöglichkeiten („choice“) für die Empfänger, mehr Debatte darüber, was wirklich funktioniert in der internationalen EZA, was wirklich zu mehr „aid effectiveness“ („wirksame Hilfe“) führt, wie sie in der Pariser Erklärung der OECD-Staaten von 2005 gefordert und versprochen wird.

Besonders der letzte Punkt verweist darauf, wie groß die Herausforderungen für das zu Bruch gegangene Monopol der westlichen Gebergemeinde heute sind. Bislang konnte diese über Instrumente wie den Pariser Club (der öffentlichen Gläubiger), den Internationalen Währungsfonds (und seine sogenannte Gütesiegelfunktion) oder die Weltbank unumschränkt bestimmen, welche Länder wieviel Hilfe und zu welchen Bedingungen bekommen würden. Da die „neuen Geber“ ihre Kredite und Schenkungen fast ohne Auflagen vergeben (von banktechnischen Bestimmungen wie Rückzahlungsfristen, Zinsmargen etc. abgesehen), entsteht für die alten Geber ein zusätzlicher Druck, überkommene Konditionen, wie sie z.B. im Rahmen der Strukturanpassungspolitik von IWF und Weltbank gestellt wurden, zur Disposition oder zumindest zur Diskussion zu stellen.

Strategische Interessen

Natürlich hat die neue Gebergeographie auch ihre problematischen Seiten. So erleben wir derzeit eine bedenkliche Wiederbelebung geostrategischer Elemente in der EZA. Natürlich verfolgen Länder wie China und Indien mit ihren Aktivitäten in Afrika auch das Ziel der Sicherung ihres wachsenden Bedarfs an Rohstoffen. Und inwieweit die Entwicklungshilfe mit der Durchsetzung von menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Standards verknüpft werden sollte, dürfte eines der großen Konfliktfelder zwischen alten und neuen Gebern in der Zukunft werden. Doch der westliche Geberklub steht solchen Herausforderungen nahezu unvorbereitet und hilflos gegenüber.

Konservative Politiker wie der deutsche Wirtschaftsminister Michael Glos beschwören in der Öffentlichkeit den chinesischen Rohstoffhunger in fast der gleichen Terminologie, in der weiland linke KritikerInnen den westlichen Neokolonialismus und seine Interessenorientierung geißelten. Doch es wirkt nicht sehr überzeugend im Süden, mahnend den Zeigefinger zu erheben, wenn die eigene Politik von Doppelstandards, z.B. in der Menschenrechtsfrage, durchzogen ist.

Ein bezeichnendes Beispiel für die Einfältigkeit, mit der auf die neuen Akteure reagiert wird, lieferten die Entwicklungsminister der Gruppe der Acht (G8) bei ihrem jüngsten Treffen Ende März in Berlin. Wie im Vorbereitungsprozess allgemein, hatte die deutsche Bundesregierung auch zu diesem Treffen fünf sogenannte Outreach-Länder (China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika) hinzugeladen, um mit ihnen Fragen des „gemeinsamen Interesses“ zu diskutieren.

Geber sollen sich den Prinzipien der OECD unterwerfen

Besonders erpicht waren die G8-Minister auf die Diskussion der Rolle der Schwellenländer als „neue Geber“, vor allem in Afrika. Doch blieb es bei der Ermutigung der „aufstrebenden Geber zur Zusammenarbeit, Zusammenarbeit, um die Transparenz der Hilfe und die Effektivität der Entwicklungszusammenarbeit im Einklang mit den Prinzipien der Pariser Erklärung zu erhöhen“. Doch da wäre wohl erst einmal die Frage zu beantworten, warum sich diese neuen Geber Prinzipien der OECD bzw. ihres Entwicklungshilfe-Ausschusses (DAC) unterwerfen sollten, an deren Ausarbeitung sie nicht beteiligt waren und sich auch in Zukunft wohl nicht beteiligen wollen.

Spricht man mit WissenschaftlerInnen und DiplomatInnen aus den aufsteigenden Ländern selbst, dann fällt in erster Linie die außerordentliche Bescheidenheit auf, mit der sie nach außen hin auftreten. So will Xu Weizhong, der Direktor der Afrika- Abteilung des Instituts für Asiatische und Afrikanische Studien in Peking, Vergleiche mit westlichen EZA-Konzepten nicht gelten lassen. China erlebe gerade selbst den Übergang von einem Netto- Nehmer zu einem Netto-Geber und fange gerade erst an, über EZA nachzudenken. Dabei ist klar für ihn, dass die Hilfe der Chinesen sich sehr von den DAC-Konzepten unterscheide – schon alleine deshalb, weil sie eng mit wirtschaftlicher Kooperation verknüpft ist. China sei durchaus bereit, über „Resource Governance“ in Afrika zu sprechen, nur müssten dabei in erster Linie die Interessen der Afrikaner einfließen – das sei keine Angelegenheit, die zwischen den Industrieländern und den „neuen Gebern“ zu managen sei.

Afrika ist ein wichtiger Absatzmarkt für chinesische Produkte

Überhaupt: Während der Westen sich schwer tue, den Afrikanern auch nur zuzuhören, können die neuen Geber für sich reklamieren, aus eigener und gemeinsamer Erfahrung mit dem Kolonialismus mehr Empathie und Verständnis für andere Länder im Süden aufzubringen. Für Shreekant Gupta, den Direktor des Nationalen Instituts für Urbanisierung in Indien, steht deshalb fest, dass die neuen Geber die glaubwürdigeren Vertreter des Partnerschaftsgedankens im Umgang mit Entwicklungsländern sind. Dabei helfe einem Land wie Indien auch das hohe Maß an Pluralismus und demokratischer Tradition der indischen Gesellschaft, das auch für die Außenbeziehungen leitend sei.

Neue Konzepte

Dass sich die Formen der Auslandshilfe der „neuen Geber“ sehr von den OECD-Konzepten unterscheiden, zeigt vielleicht am deutlichsten das argwöhnisch verfolgte Treiben von Hugo Chávez’ Venezuela auf dem lateinamerikanischen Subkontinent. Der Erwerb argentinischer Staatsanleihen im Jahre 2005 in Höhe von über drei Milliarden Dollar durch Venezuela ließe sich sicherlich nicht in Paris als ODA anrechnen, war aber gleichwohl ein entscheidender Entwicklungsbeitrag, der der Regierung von Nestor Kirchner ermöglichte, ihre Schulden beim Internationalen Währungsfonds zurückzuzahlen und den eigenen wirtschaftspolitischen Bewegungsspielraum zu erweitern.

Süd-Süd-Hilfe: Argentiniens Präsident Nestor Kirchner (li.) hat dank Venezuelas Präsident Hugo Chávez (re.) mehr wirtschaftspolitischen Spielraum.

Auch die Subventionierung der kubanischen Energieversorgung im Austausch gegen kubanische LehrerInnen und ÄrztInnen passt nicht in das patriarchalische westliche Bild von Entwicklungshilfe. Und die Vergabe von Staatsaufträgen an befreundete lateinamerikanische Länder im Süden, wie sie Venezuela praktiziert, ist dort undenkbar, wo der öffentliche Wirtschaftssektor in den vergangenen Jahrzehnten der Privatisierungspolitik zum Opfer gefallen ist.

Welche Perspektiven zeichnen sich für die neuen, potenziellen Konflikte zwischen den „alten Gebern“ (die oft nicht Geber im Sinne dieses Wortes waren, sondern mehr genommen als gegeben haben) und den „neuen Gebern“ (die wegen des paternalistischen Beigeschmacks nicht so genannt werden wollen) ab? Ohne große Chance dürfte eine Politik sein, die darum bemüht ist, die westliche Geberdominanz durch subalterne Eingliederung der neuen Regionalmächte in das System des Entwicklungshilfeausschusses (DAC) der OECD fortzusetzen. Nur im Rahmen der Vereinten Nationen ist ein Dialog unter Gleichen denkbar, an dessen Ende ein neuer multilateraler Konsens über Wege zur Lösung der globalen Entwicklungsprobleme stehen müsste.