Foto: Standard/Weintrob
Oh nein, die Sexiness dieser Band erschließt sich wahrlich nicht über ihr Äußeres. Hat sie nie. J Mascis sieht heute aus wie eine früh in die Jahre gekommene Squaw mit einem menschenfeindlichen Optiker, die sich nicht einmal für ein Bandfoto die Mühe macht, den Hamburger-Friedhof einzuziehen. Das schafft immerhin Murph, Schlagzeugkanone und Glatzkopf, während Lou Barlow, der Bassist des Trios, souverän den Langzeitarbeitslosen mimt. Wenn die drei allerdings ihre Instrumente einstöpseln und loslegen, kracht es gewaltig. Diese drei Typen bilden die Urbesetzung von Dinosaur Jr. und veröffentlichen als solche mit Beyond heute ihr erstes gemeinsames Album nach 19 Jahren. Dinosaur Jr. zählen zu den Wegbereitern des Grunge, die 1985 ihr erstes Album einspielten und bald eine der einflussreichsten Kräfte des US-Undergrounds wurden. Gemeinsam mit Hüsker Dü, Black Flag, Sonic Youth, den Pixies, Big Black und anderen, heute den heiligen Gral des US-Hardcore bildenden Bands.

Dinosaur Jr., rund um den zart soziopathischen, maulfaulen Sänger und Gitarristen J Mascis, sprengten die dogmatischen, aus dem Punk kommenden Formen des Hardcore. Mascis spielte als Erster wieder bis dahin verpönte Soli. Dazu erinnerte sein weinerliches Idiom und sein an der Welt nur sehr bescheiden interessiertes Auftreten an den alten Hippie Neil Young - damals eher Feind als Freund. Derlei Zutaten bretterten die drei mit der Intensität eines Wüstensturm und mit allen Reglern auf Anschlag in eine kalte Welt. Das 1987 erschienene You're Living All Over Me offenbart bis heute eindrucksvoll den Genius dieser Band und beeinflusste - bei Nirvana beginnend - bis heute Legionen von Bands. Siehe dazu nebenstehendes Interview mit Killed By 9 Volt Batteries.

Nach den Aufnahmen des dritten Albums zerbröselte die Band: menschliche Unzulänglichkeiten. Lou Barlow gelang mit Sebadoh eine veritable Karriere, Murph trommelte auf Anfrage bei verschiedensten Bands zwischen Seattle und New York, und der angeblich heute noch im Elternhaus in Amherst, Massachusetts, lebende Mascis führte Dinosaur Jr. als Einmannbetrieb weiter, veröffentlichte im Grunge-Boom das herausragende Where You Been (1993), komponierte Filmmusik und entsorgte Dinosaur Jr. 1998 - um als J Mascis & The Fog unverändert weiterzumachen. Vor zwei Jahren fanden die einstigen Streithanseln neu zusammen - zuerst nur für einige umjubelte Auftritte in den USA. Aufgrund weltweiter Nachfrage wuchsen sich diese exklusiven Auftritte jedoch rasch zu einer über ein Jahr dauernden Welttournee aus, die Dinosaur Jr. mit ihrer eindrucksvollen Show auch nach Wien führte - es klingelt heute noch in den Lauschern!

Diese Tour bestritt man ausschließlich mit Songs aus den drei gemeinsam eingespielten Alben, die 2005 allesamt wiederveröffentlicht wurden. Das war auf Dauer offenbar doch zu langweilig, also nahm man die nächste Hürde zur neuerlichen Bandwerdung und ging ins Studio. Ebenso wenig wie sich die Band je um ihr Äußeres Gedanken gemacht hat, verschwendete sie welche an musikalische Trends und Moden. Bereits der von Null-auf-hundert-mit-einem-Riff-Opener Almost Ready zeigt, wo hier der Hammer hängt: Immer noch am selben Platz.

Was bei anderen Bands den Abschaltimpuls auslösen würde, offenbart sich hier als Segen. Zumal die originäre Ästhetik des Bandsounds nie als exakte Vorlage für Nachahmer diente, also nicht totgespielt ist. Squaw Mascis tritt immer noch die Effektpedale voll durch, erzeugt so eine gewaltige Dynamik, in die sein raunziger Gesang die süßesten Melodien bettet, zu denen sich auch sein Gitarrenspiel immer wieder gesellt. Barlow und Murph müssten da eigentlich nur noch den Rhythmus halten, doch Murph ist nicht bloß Drummer, er ist ein Tier am Gerät. Und wer gesehen hat, wie Barlow live seinen Bass bearbeitet, weiß, dass er diesen nicht gerade mit abgewinkeltem Jazzhändchen wie ein schwüles Herrenhandtäschchen zupft. In Summe ergibt das ein kleines Meisterwerk neben der Zeit, das sich in der Bandgeschichte wie ein würdiger Nachfolger von Where You Been ausnimmt. Erhaben dreckig, eigenbrötlerisch und kompromisslos. (Karl Fluch / DER STANDARD, Printausgabe, 27.04.2007)