Über den Maler hat Watkins ein Bio-Pic gedreht, wie es ein vergleichbares im Kino nicht gibt. Der dreieinhalbstündige Edvard Munch, finanziert vom norwegischen und schwedischen Fernsehen, fertig gestellt 1973, ist zugleich Gesellschaftsgeschichte und paradigmatische Künstlervita. Watkins will den verkannten Künstler als eine Figur verstehen, die am Konflikt zwischen Libertinage und Puritanismus leidet, die aber konditioniert ist auf eine Erfahrung der Unterklasse.
Der Film hat eine szenische Qualität, die dem Werk von Peter Watkins von Beginn an eigen ist. Seine Medienkritik lässt ihn nach reflexiven Formen des "re-enactments" suchen. Sein früher (Amateur-) Kurzfilm Forgotten Faces (1960) ist dafür wegweisend: Hier zeigt er seine Sicht auf die niedergeschlagene ungarische Revolution von 1956. Politisch läuft der Konflikt auf vier Tage im November hinaus, während derer in Budapest eine freie Herrschaft des Volks besteht. Danach stellen die Sowjet-Truppen den Zustand wieder her, gegen den die Revolutionäre angetreten waren. Watkins rückt sie mit Namen und Großaufnahmen ins Bild: "These are their faces."
Die ungarischen Figuren werden von britischen Laiendarstellern gespielt. Watkins fand in den Fünfzigerjahren während seines (unter Protest angetretenen) Militärdiensts Anschluss an eine Laientheatergruppe in Kent, die Playcraft Unit. Die Ruinen von Ujpest in Budapest wurden in einem ehemaligen Gaskraftwerk in Canterbury gefunden. Am Ende, als der Aufstand niedergeschlagen ist, zieht Watkins eine Bilanz der Opfer – Gesichter ohne Namen. 1964 kann er seinen ersten Film für die BBC drehen. Er wählt ein historisches Sujet, das auf Vietnam verweist. Am 16. April 1746 standen einander bei Culloden nahe Inverness eine Truppe von Highlanders und eine Armee von protestantischen Loyalisten gegenüber. Diese brutale Schlacht stellt Watkins mit Mitgliedern der Playcraft Unit und zahlreichen Laiendarstellern, unter denen er direkte Nachkommen der Opfer der tatsächlichen Schlacht vermutet, nach.
Watkins nennt Culloden einen "Bericht" ("account"), geht dabei aber "technologisch" bewusst zu weit und lenkt das Augenmerk auch auf das Medium selbst. In seinem Dokudrama The War Game (1965) unternahm Watkins den Versuch, die Folgen eines Atomangriffs zu veranschaulichen. Er tat dies so drastisch, dass die BBC sich veranlasst fühlte, den Film den Behörden zu zeigen, deren Ohnmacht im Fall eines Atomkriegs von Watkins vor Augen geführt wurde: dem Home Office und dem Verteidigungsministerium. The War Game wurde im TV nicht ausgestrahlt.
Gegen die "Monoform"
Aus dieser Zeit rührt die Selbststilisierung von Watkins als Einzelkämpfer gegen die "Monoform", als Bastion gegen "MAVM" ("mass audio visual media"). Durch die Wahl von Wohnsitzen in Skandinavien und im Baltikum begab er sich auch persönlich an die Ränder (derzeit lebt Watkins in Vilnius in Litauen). 1971 konnte er in den USA noch Punishment Park drehen, eine Fiktion über einen Ausnahmezustand unter Nixon, über Schnelltribunale gegen oppositionelle Studenten und Intellektuelle.
Die Kultursender La Sept und Arte gaben ihm in den NeunzigerJahren die Chance, auf eine zentrale Szene seiner Mythologie zurückzukommen: La Commune rekonstruiert die Geschehnisse um die Pariser Kommune von 1871. Es gibt ein Kamerateam, das "vor Ort" ist, in einer Szenerie, die hinreichend "historisch" ist, ohne auf einen vollständigen Realitätseffekt zu zielen. Die Kommune als revolutionäres Experiment beschreibt Watkins wieder durch die "vergessenen Gesichter".