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Kargheit, Auslassung und Lakonie dominierte den Tonfall seiner ästhetischen Texte: norbert c. kaser.

Foto: Archiv

Bruneck/Innsbruck – "ich krieg ein kind" beginnt sein letztes Gedicht. Drei Wochen später ist norbert c. kaser, der auf die Kleinschreibung auch des Namens bestand, an den Folgen der Trunksucht im August 1978 verstorben, mit 31.

Die Selbstironie wendet die Anspielungen von Bekannten auf den kleinen Wasserbauch, Folge der fortgeschrittenen Leberzhyrrhose. "ein kind krieg ich/ es schreiet nie/ lallet sanft/ ewig sind/ die windeln von dem kind/ feucht und naß// ich bin ein faß".

In der Todesanzeige stand "Schriftsteller". Treffend trotzig hingesetzt von Künstlerkollegen wie Paul Flora, Claus Gatterer, Markus Vallazza oder Joseph Zoderer. Da war er noch keiner, ohne Buch am Markt zu Lebzeiten. "Er ist es erst jetzt geworden", schrieb Franz Schuh in einem Essay über "einen anderen Typus" von Autor, nachdem posthum die von Hans Haider erstellten, von Paul Flora mitfinanzierten Auswahlausgaben "Eingeklemmt" (1979) und "Kalt in mir" (1981), zuerst in einer Innsbrucker Galerieedition, dann bei Hannibal erschienen sind.

"Schriftsteller", festgehalten in der Todesanzeige just in Südtirols reaktionär-katholischem Monopolblatt "Dolomiten" des Athesia Verlages, das zehn Jahre zuvor eine Kampagne gegen den 22-Jährigen eröffnet hatte, das war auch ein politisches Statement.

Anlass für die Kampagne, die private Drohbriefe nach sich zog , war eine Passage in einem Vortrag 1969, der als "Brixner Rede" den beginnenden Umbruch in der regionalen Kulturlandschaft markiert. Stellvertretend für aufbegehrende Hochschüler im kulturellen Brachland rief der zweimal an der Matura Gescheiterte vor versammelter Landesprominenz auf, "den Tiroler Adler wie einen Gigger zu rupfen und ihn schön langsam über dem Feuer zu drehen".

Der enorme Widerhall der Worte ist gewiss auch auf eine Randstellung der regionalen Literaturlandschaft Ende der 1960er- bis Anfang der 80er-Jahre – kasers Schaffensjahrzehnt – zurückzuführen: einen vom restlichen deutschsprachigen, auch noch vom österreichischen abgekoppelten Literaturraum.

Deterritorialisierung

Die Rezeption auch der ersten Kaser-Bücher halfen dann, diese "Deterritorialisierung" – wie sie Schmidt-Dengler/Waldner angelehnt an Deleuze/Guattaris Arbeit über das Prag Kafkas für das Südtirol der 70er festmachten – allmählich aufzubrechen. kasers Texte sind heute in Südtirol Schullektüre, ein Lyrikpreis trägt seinen Namen. Die Heimatstadt Bruneck will sich zur Forschungsstätte machen – dafür wollen die Stadtpolitiker einen Teil des seit Jahren im Innsbrucker Brenner-Archivs betreuten Nachlasses heimholen. Nachdem Taschenbuchausgaben und Bände der Werkausgabe (Haymon) vergriffen sind, kommt eine für Herbst angekündigte Auswahl von Raul Schrott (Haymon) grad recht.

In auffälligem Kontrast zu den polemischen Ankündigungen der Brixner Rede stehen Kargheit, lakonischer Tonfall der ästhetischen Texte, der Lyrik zumal. Auch in den Prosaminiaturen, den "stadtstichen" auf (Süd)Tiroler Orte, Fabeln und Geschichten für den Unterricht an Bergschulen, auch in den zum Werk zu zählenden Briefen ("im brief muss jeder satz gesetzt sein ueberlegt und sogar gespart") meidet kaser die große Geste, das Pathos.

In einem der wenigen Heimatgedichte markiert schon der Titel – "lied der einfallslosigkeit" – ironische Distanz. In den beiden Schlusszeilen werden zentrale Landessymbole – Wappenadler und Herz-Jesu-Schwur als Verbindung weltlicher mit kirchlicher Macht vom Sockel geholt: "dem herzen des gottes verschworen/ & ueber allem schwebt der henngeier".

kaser schöpft aus den Stoffen mündlich tradierter Volkskultur, der Bibel, der katholischen Überlieferung, dem subversiven Fundus der Volksfrömmigkeit. Die Kirche verlässt er, "da ich ein religioeser mensch bin". Der seit der Kindheit vertraute Heilige Sebastian dient dem Grenzgänger als Identifikationsfigur, wie als sexuelle Projektionsfläche in einem sinnlich-mystischen Schlussbild: "sie nehmen ihn binden ihn/ & schießen auf ihn ein ... mit der nacht kommen engel seine todeswunden lecken".

Todeswunden lecken

Acht selbst gefertigte Lyrikbändchen, die er verschenkte, und vor allem penible Stilisierungen im Schriftbild – Umlautauflösung, &-Zeichen, Kleinschreibung, Interpunktionslosigkeit –, die ab dem selbst fixierten "eintritt in die literatur" von den Gedichten auf Prosaminiaturen und die früh mit Schreibmaschine verfassten Briefe übertragen werden, sind in ihrer Konsequenz auch Zeichen, die den Autorenstatus eines Unsteten unterstreichen.

Der unbürgerlich sozialisierte Sohn eines Fabrikspförtners hat sich als Kapuzinerpater (einen Winter lang), als Kurzzeitstudent in Wien versucht, als Mauteinheber und dann mit Begeisterung als Hilfslehrer an Bergschulen ein wenig verdient. Bis Haider dem bereits schwer Erkrankten zum Österreichischen Staatstipendium verhalf: "hoffentlich" steht auf einer Karte an sich selbst. Die Vorderseite zeigt die Auferweckung des Lazarus. (Benedikt Sauer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.4.2007)