Die hohe Kunst des Einfahrens: Guido Gluschitsch und die Yamaha R1.

foto: sulzbacher
Ja, ja, ich kann Ihr ungläubiges Gesicht sehen. Und ich kann Ihre Gedanken lesen: Agrad der glu soll schon die R1 ausgefasst haben. Und wissen S’ was? Ja, das hat er. Und nicht nur das. Jetzt passen S’ auf: Als ich die R1 aus der streng geheimen Yamaha-Garage schob, hatte sie, Achtung, jetzt kommt es, genau Null Kilometer auf der Uhr.

Das Eisen ist noch kein Stückerl gefahren worden. Und ätsch, der glu hat sie bekommen. Dabei war die streng geheime Yamaha-Garage rammelvoll mit Yamaha-Eisen. Von der R1 bis zum Roller. Alles da, und trotzdem kein "bitte hau s’ net zsamm" oder "wenn s’ leicht geht, lass sie ganz". Und ja, Resignation schließe ich aus.

Was aufgrund der vor mir nicht gefahrenen Kilometer zu sagen blieb war natürlich das "Die ist noch einzufahren. Schaffst du das?" Oh, das konnte ich bejahen. Eingefahren bin ich schon oft. Da hab ich Übung. Worin ich weniger Übung hab, ist, mit einem nigelnagelneuchen Gespann aus 180 Pferden, galant vor dem Besitzer wegzufahren.

Also hab ich brav gewartet, bis die junge Dame, die mir die Schlüssel und die Papiere übergab, irgendwo im Stiegenhaus, am Weg zurück von der Garage in ihr Büro, war. Muss mich ja keiner in der Einfahrt herumnudeln sehen. Weil so eine Kilomaschin, die reißt sicher mörder an. Und das kenn ich ja, wie leicht ich mir mit so was tu. Gas auf, Kupplung langsam kommen lassen, dann prescht die Reiben los, ich mach mir ins Hemd, schließ den Gashahn, das Werkl geht vorne nieder, dann wieder Gas bevor sie umfällt, dann wieder zu. Ein Gemetzel.

Dabei hab ich mich völlig umsonst gefürchtet. Die R1 ist in etwa so fahrbar wie Kühe Wasser saufen. Schon beim Draufsetzen merkte ich, dass ich da etwas sehr handliches ausgefasst habe. Erinnert vehement an eine 600er Supersport – ich meine das Gewicht und wie schlank sie dasteht.

Wenn man die R1 anstartet, hört man dann Unterschied zur 600er sofort. Und sie kommt so seidenweich, dass weder die Yamaha-Einfahrt noch mein heimischer Tiefgaragenslalom ein Problem war. Recht ungewohnt für eine 1000er Supersport.

Die Vorurteile kennt man ja – und keine trifft bei der R1 zu. Yamaha hat wirklich ganze Arbeit geleistet. Kein Selbstmördergerät. Höchste Alltagstauglichkeit. Auch wenn die R1 mit der Ersten schon weit über 100 km/h geht, ist der Weg ins Büro richtig lustig. Man dreht halt nicht gar so hoch und ist glücklich.

Heißt das, dass man die R1 besser nicht auf die Rennstrecke stellt? Papperlapapp. Ich hatte in der Testwoche zwar nicht das Vergnügen ein paar Runden am Ring drehen zu dürfen, aber das Potential des Eisens konnte ich schon spüren. Noch dazu durfte ich die R1 in Teesdorf am ÖAMTC-Gelände äußerln führen.

Ein gewagtes Unterfangen. Die Teststrecke ist nämlich ganz und gar nicht Kilo-Supersport angedacht. Folglich ein Spagat für die R1, der sogar den Dancing Stars weh tun taterte. Aber "Pfah", weit gefehlt. Gegen die R1 auf dem engen Kurs von Teesdorf, wirken die Ausnahmesportler rund um Alfons Haider wie lächerliche Hupfdohlen.

>>>Eisen und Augäpfel

Das herrliche Fahrwerk und die feinen Bremsen sind mit ein Grund, warum man die R1 mit einem nicht enden wollenden Grinsen über die Piste drischt. Und wenn man ganz frech ist, dann benutzt man die R1 auf der Strecke einfach als Automatik. Zweiten Gang rein und nie mehr schalten. Geht sich locker aus.

Aber die Frage der Fragen ist natürlich, wie stellt sich die R1 auf der Rennstrecke an? Ich hoffe, ich komme noch in den Genuss, denn wie es aussieht, bring sogar ich mit der R1 Rundenzeiten zusammen, für die ich mich weniger schämen muss, als sich meine Eltern für ihren älteren Sohn. 180 PS bei 12.500 Umdrehungen schon am Stand. Wenn aber Luft durch die Airbox strömt und somit Sauerstoff in den Zylinder presst, dann bringt es die Yamaha auf neun weitere Rösser, verspricht das Datenblatt. Das Drehmoment liegt bei 112,7 Nm respektive 118,3 Nm je nach Luftdruck in der Airbox.

Diese Zahlen sprechen am Stammtisch Bände. In Worte gefasst, die nicht dazu dienen sollen sich selbst zu präsentieren: "Einfach unglaublich!" Dabei bleibt das Moarch ständig kontrollierbar. Galant aufs Hinterradl? Mit der R1 aber so was von keinem Problem – wo dir bei einem anderen Eisen die Augäpfel schon aus dem Gesicht gefallen sind. Neben dem geilen Motor trifft ein bisserl Schuld wohl auch in der Chip Controlled Throttle. Perfekte Befehlsübertragung – perfekte Befehlsausübung. Letzteres tat sich meine Frau von mir auch wünschen. Aber lassen wir das.

Was sagma übers Fahrwerk? Ich wüsste jetzt nicht, was man daran noch deixeln sollte, will man keine Weltmeisterschaft gewinnen. Der Rahmen verträgt sicher viel mehr, als er verarbeiten muss, wenn ich auf der R1 werke. Die Bremsen sind ebenfalls in der Serie schon so gut, dass jede weitere Investition dort rausgeschmissenes Geld oder Angeberei ist. Die Bremserei vorne wurde 2007 übrigens modifziert: Jetzt beißen vorne je sechs Kolben in die beiden, nur mehr 310 mm großen Scheiben.

Ach ja, und die R1 hat nun das 5 Ventilsystem abgelegt und verbaut jetzt einen 4-Ventil 4-Zylinder-Motor. Eine kleine Revolution bei Yamaha – aber ich glaub das kümmert sie jetzt weniger, oder? (Text: Guido Gluschitsch, Fotos: Martin Sulzbacher, derStandard.at, 19.4.2007)