Der Traum vom 100-Dollar-Laptop

Als Nicholas Negroponte im Jänner 2005 im Rahmen des Weltwirtschaftsforums in Davos der Öffentlichkeit erstmals seine Idee für einen 100-Dollar-Laptop präsentierte, waren ihm zwei Dinge sicher: Tosender Applaus für die Idee an sich und erhebliche Zweifel an der realen Machbarkeit. Auch wenn Negroponte als Computerwissenschaftler am Media Lab des renommierten Massachusetts Institute of Technology durchaus einschlägige Expertise vorweisen konnte, so hätten damals wohl nur wenige ihr Geld auf das Gelingen des Unterfangens gesetzt.

Komplex

Immerhin kommen dabei eine ganze Reihe von Faktoren ins Spiel, die schon für sich alleine zu einem Scheitern des Projekts führen hätten können: Wer Laptops in Millionen-Auflage zu einem bisher nicht gekannt niedrigen Preis an Kinder in Entwicklungsländern bringen will, der muss nicht nur kreative Hard- und Softwarelösungen finden, sondern auch politische Hürden geschickt umschiffen.

OLPC

Zwei Jahre später scheint Negroponte mit seinem Team dies wirklich gelungen zu sein. Das "One Laptop per Child"-Projekt - wie man das Unterfangen mittlerweile benannt hat - ist nur mehr wenige Monate vor der Auslieferung der ersten Gerätegeneration entfernt, mehrere Testserien des OLPC XO wurden bereits produziert.

Software

Während die Hardware in den vergangenen Monaten bereits allerorten ausführlich diskutiert wurde, führt die Softwareausstattung bislang in der öffentlichen Wahrnehmung eher ein Schattendasein. Zu Unrecht, immerhin entwickelt man für den OLPC XO ein vollständig neues User Interface, das mit gewohnten Desktop-Metaphern brechen soll und den Zugriff auf die verschiedenen Möglichkeiten des Rechners vereinfachen soll.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Eckdaten

Die Betriebssystembasis bildet dabei ein speziell angepasstes Fedora Core 6 Linux. Zahlreiche Optimierungen sollen dafür sorgen, dass der Stromverbrauch möglichst gering bleibt. Immerhin sollen die damit arbeitenden Kinder in Gegenden, in denen kein Stromanschluss vorhanden ist, das Gerät mit ihrerer eigenen Muskelkraft wieder aufladen können. Wenn eine Ladung da nicht lange reicht, kann dies die Akzeptanz des Gerätes erheblich gefährden.

Süß

Das Interface selbst nennt sich "Sugar" und wurde maßgeblich von Red Hat speziell für den OLPC XO entwickelt. Klassische Desktop-Elemente sucht man hier vergeblich, statt dessen gibt es einen Rahmen rund um die eigentliche Oberfläche über den der XO gesteuert wird. Von hier aus kann man zwischen den verschiedenen Zoom-Modi wechseln, einzelne Aktivitäten starten und mit anderen BenutzerInnen Kontakt aufnehmen, zu all diesem mehr auf den folgenden Seiten.

Prinzipielles

Damit wären wir auch schon bei den grundlegenden Design-Prinzipien von Sugar. Grob zusammengefasst sind diese:

  • Möglichst einfache Bedienbarkeit
  • Konzentration auf Aktivitäten statt Anwendungen
  • Die Zusammenarbeit mit anderen muss bei allen Programmen im Vordergrund stehen. Die Kinder sollen voneinander lernen, sich gegenseitig neue Dinge beibringen können.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Zoom

Das Gerät ist also vollständig auf eine vernetzte Umgebung und den Einsatz in Gruppen eingestellt. Um den Anforderungen solcher Rahmenbedingungen gerecht zu werden, bietet "Sugar" vier verschiedene "View Modes", alle sind sie als unterschiedliche Zoom-Stufen der eigenen Computerwelt denkbar: "Neighbourhood", "Friends", "Home" und "Bulletin Board".

Umstellung

Der Wechsel zwischen den vier Umgebungen erfolgt über vier Icons, die links oben im Rahmen des Interfaces positioniert sind. Zusätzlich wird die fertige Hardware auch noch spezielle Tasten zur Direktanwahl haben, die mit den zugehörigen Icons versehen sind und F1-F4 auf einer handelsüblichen Computertastatur entsprechen.

Grafik: OLPC

Die Nachbarschaft

Der erste Modus wäre also "Neighbourhood": Was auf den ersten Blick nach einem Computerspiel aus den Achtziger Jahren aussieht, hat durchaus einen tieferen Sinn: Der eigene Rechner wird mit dem Logo des OLPC-Projekts dargestellt (im Bild im Eck links oben). Die Farbe des Icons darf dabei übrigens beim ersten Start des XO frei gewählt werden.

Access

Dreiecke repräsentieren hingegen in der Umgebung verfügbare WLAN Access Points. Wie stark das Signal ist, ist daran erkennbar wie "gesättigt" die jeweils verwendete Farbe ist. Mit dem Bewegen des Mauszeigers über die Symbole können auch noch Zusatzinformationen bezogen werden, etwa die ESSID eines Access Points. Per Klick auf das Icon wird eine Verbindung aufgebaut.

Mesh

Vor allem für Gegenden, in denen keine Access Points zur Verfügung stehen, ist das Mesh-Netzwerk gedacht: Die Verbindung wird dabei über eine Kette anderer Laptops hergestellt, in der Grafik wird so ein Zugang mit einem Kreis symbolisiert.

Grafik: OLPC

Spielen und Lernen mit FreundInnen

Der nächste Modus nennt sich vielsagend "Friends": Hier werden die Personen in der Umgebung mit ihren gerade aktuellen Tätigkeiten abgebildet. Auch Gruppen, die gerade gemeinsam an einzelnen Projekten arbeiten sind erkennbar.

Aktiv

Doch natürlich ist das Ganze nicht nur zu Informationszwecken gedacht: Hier können auch Daten miteinander ausgetauscht werden, Einladungen zu gemeinsamen Aktivitäten ausgesprochen und angenommen werden.

Layout

An dieser Stelle mal etwas zur Aufteilung des Rahmens: Während sich oben wie bereits erwähnt der Wechsel zwischen den einzelnen Ansichten findet, finden sich auf der linken Seite die zwischengespeicherten Dokumente und rechts die gerade online seienden FreundInnen. Am unteren Rand dann die Leiste für die einzelnen Aktivitäten.

Grafik: OLPC

Zuhause

Folgt die Home-Ansicht, die noch am ehesten mit einem klassischen Desktop-Interface vergleichbar ist, und beim Starten des Systems als Erstes angezeigt wird. In einem Ring rund um das OLPC-Icon werden die gerade laufenden eigenen Aktivitäten dargestellt, das ganze ist also als eine Art Task-Switcher denkbar.

Aufteilung

Das Besondere: Die Größe der Kreissegmente variieren je nach dem Speicherverbrauch der einzelnen Aktivitäten, ein voller Kreis symbolisiert also auch einen vollen Speicher. Ist dies der Fall wird automatisch eine ältere Aktivität beendet um wieder Platz zu schaffen. (Anm.: Das entsprechende Feature funktioniert derzeit noch nicht, also nicht darüber wundern, dass alle Segmente gleich groß sind)

Infos

Zusätzlich werden hier noch der Batterieladestand und der aktuelle Netzwerkstatus angezeigt, so denn gerade einer aktiv ist.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Das schwarze Brett

Der letzte der vier Modi ist ein Spezialfall: Am Bulletin Board können Nachrichten, Dokumente, Grafiken und ähnliches miteinander ausgetauscht werden, auch Gruppen-Chats können hier frei platziert werden.

Ausnahme

Ein Sonderfall ist dies vor allem, weil es das Bulletin Board für all die unterschiedlichen zuvor erwähnten Bezugsrahmen gibt. Also neben einem, das alle einsehen können existiert auch eines nur für die jeweiligen FreundInnen.

Grafik: OLPC

Produktion

Um Bilder, Dokumente und andere Dateien austauschen zu können - oder auch nur mit anderen darüber zu diskutieren - muss natürlich erstmals das entsprechende Material vorhanden sein. Dafür gibt es eine ganze Reihe von unterschiedlichen "Aktivitäten", wie etwa im Bild ein einfaches Malprogramm.

Fullscreen

Alle solchen Anwendungen füllen übrigens den vollständigen Bildschirm aus, der Rahmen stört dabei auch nicht, da er sich nach einer gewissen Zeit automatisch ausblendet. Der Wechsel zwischen den Aktivitäten erfolgt ausschließlich über die Home-Ansicht, ein klassischer Fensterbetrieb ist nicht vorgesehen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Möglichkeiten

Die jeweils aktive Anwendung scheint dann auch in der oberen Zeile des alles umgebenden Rahmens auf. Hier können einzelne Dokumente auf Wunsch geschlossen oder mit anderen geteilt werden.

Dokumente

Im Bild übrigens der mitgelieferte Dokumentanzeiger, der auf der GNOME-Software Evince basiert, wie überhaupt die meisten Anwendungen angepasste Varianten bestehender GTK/GNOME-Programme sind. Dieser ist auch im grafischen Look bereits an die Sugar-Umgebung angepasst worden, dass dies etwa beim zuvor gezeigten Malprogramm nicht der Fall ist, liegt daran, dass die Software derzeit schlicht noch nicht fertig ist.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Textverarbeitung

Für das Verfassen von eigenen Texten darf natürlich auch eine Textverarbeitung nicht fehlen. Diese basiert auf Abiword, neben den grundlegenden Schreib- und Layoutmöglichkeiten ist auch eine Rechtschreibprüfung integriert.

Speicherfragen

Ein klassisches Abspeichern und Laden von Dokumenten solle es übrigens bei Sugar nicht mehr geben, statt dessen werden regelmäßig automatisch lokale Backups vorgenommen. Zusätzlich werden ja Dokumente im Normalfall ohnehin nur geschlossen, wenn sie Platz für andere Aktivitäten machen müssen. Auch das Ausschalten des Geräts soll eher die Ausnahme bilden, statt dessen soll ein ultraflottes Suspend und Resume (deutlich unter einer Sekunde) beim OLPC XO im Vordergrund stehen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Journal

Zwar ist das derzeit noch Zukunftsmusik - wie das reichlich deplatzierte Aufpoppen eines GTK-Dateiauswahldialogs im Bild oben zeigt - wenn das System aber mal implementiert ist, sollten sich daraus einige interessante Möglichkeiten ergeben. So wird aus allen abgespeicherten Aktivitäten der Kinder ein Journal erstellt. Dieses kann aber eben nicht nur zum Nachlesen verwendet werden, sondern auch als globale UNDO-Funktion zum Einsatz kommen. Der Grundgedanke: Mit einem Sicherheitsnetz sind Kinder experimentierfreudiger, etwas, das man aktiv unterstützen will.

Einfluss

Anhand des Journals bestimmt das System dann auch, welche abgespeicherten Dokumente nach einer gewissen Zeit gelöscht werden, um wieder Platz für neue kreative Erzeugnisse zu schaffen. Damit nicht lieb gewonnene Bilder, Texte oder Musikstücke verloren gehen, können die Kinder Einfluss auf das Journal nehmen, in dem sie gewisse Einträge für eine dauerhafter Speicherung markieren.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Metadaten und Co.

Doch damit enden noch nicht die Einflussmöglichkeiten auf das Journal: Nicht nur, dass eigene Einträge hinzugefügt werden können, können alle Beiträge - also auch die automatisch erstellten - mit Tags und Metadaten versehen werden. In Verbindung mit einer globalen Suche, sollten Dokumente so leicht wieder aufzuspüren sein.

Versionen

Auch an dem Umgang mit älteren Versionen für einzelne Dokumente hat man gedacht, was für ein globales "Undo" ohnehin unerlässlich ist. Dafür setzt man auf ein eigenes Versionsmanagement, natürlich so angepasst, dass die BenutzerInnen nichts davon bemerken.

Auto-Backup

Falls dabei dann doch einmal der Speicherplatz ausgehen sollte, hat man noch einen weiteren Ausweg: Kommt ein Kind in die Nähe eines Schulservers, werden die Daten automatisch auf diesem abgespeichert.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Browser

Ein weiterer wichtige Bestandteil von Sugar ist der eingebaute Browser: Dieser basiert zwar auf dem Code des Mozilla Firefox, wurde aber für die Bedürfnisse des OLPC XO erheblich abgespeckt.

Reduktion

So wurde das Interface auf das Notwendigste reduziert. Menüs gibt es hier ebenso wenig, wie Tabbed Browsing - was zum Fullscreen-Ansatz von Sugar ohnehin nicht passen würde.

Lernen

Der Browser soll aber auch zum Lesen der - lokal unterschiedlichen - Lernmaterialien und Bücher eingesetzt werden. Wichtig ist auch hier wieder der Ansatz des "gemeinsamen" - die Kinder sollen nicht nur einzeln sondern gemeinsam auf den selben Webpages unterwegs sein können.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Pinguin

Ebenfalls in aktuellen Pre-Releases von "Sugar" mit an Board ist ein eigener RSS-Feed-Reader. Dieser baut auf PenguinTV auf, damit lassen sich nicht nur Textnachrichten sondern auch Podcasts und Bilderserien abonnieren.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Einstieg vs. Aufstieg

Als einen der grundlegenden Ansätze bei der Entwicklung des OLPC XO - und natürlich auch der zugehörigen Software - führt das Projekt das Motto "Low Floor, no ceiling" an. Konkret bedeutet dies, einerseits die Einstiegshürde für die Software möglichst gering zu halten - immerhin werden viele der BenutzerInnen erst so um 5-6 Jahre alt sein - andererseits aber auch älteren Kindern genügend Entfaltungsraum zu bieten.

TamTam

Ein gutes Beispiel dafür ist die mitgelieferte Musiksoftware TamTam: Deren Möglichkeiten erstrecken sich von der einfachen Tonerzeugung per Tastendruck bis zu einem - einfachen - Multi-Track-Editor. Zusätzlich gibt es mit TamTam Jam wieder eine Komponente, die das Miteinander fördern soll, indem gemeinsam "live" musiziert werden kann.

Screenshot: Andreas Proschofsky

EToys

Als experimenteller Fixanlaufpunkt ist die schon länger verfügbare Software EToys integriert worden. Dahinter verbirgt sich eine Art erweiterte Version der Programmiersprache Logo, oder "Logo with unlimited Turtles that can wear Costumes", wie es die EToys-EntwicklerInnen selber nennen.

Möglichkeiten

Damit lassen sich dann verschiedenste Objekte wie Zeichnungen, Sound-Dateien oder auch kurze Filmschnippsel miteinander verbinden und manipulieren.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Develop

Derzeit noch in heftiger Entwicklung - und in aktuellen Builds von Sugar deswegen noch nicht integriert - befindet sich "Develop". Dabei handelt es sich um nicht weniger als eine einfache Python-Entwicklungsumgebung, samt Versionsmanagement und Bug-Tracking-Möglichkeiten. Wie gewohnt soll auch hier wieder gemeinsam an Erzeugnissen gearbeitet werden können.

Source

Develop soll eine zentrale Rolle bei Sugar einnehmen, immerhin geht es ja bei dem ganzen Projekt auch stark um Selbstermächtigung. Die Kinder sollen aus dem Source Code der mitgelieferten Programme - die Softwareauswahl besteht unter anderem aus diesem Grund nur aus Open Source-Programmen - lernen können. Eine "View Source"-Funktion soll praktisch überall zu finden sein, sogar ein eigener Knopf auf der Tastatur ist dafür vorgesehen. Programmieren lernt man immer noch am besten durch aktives Ausprobieren, so die Überlegung der EntwicklerInnen, ein Ansatz der auch bei den anderen Komponenten von Sugar deutlich spürbar ist.

Grafik: OLPC

Hineinschnuppern

Wer jetzt Interesse daran bekommen hat, Sugar einmal auszuprobieren, kann die aktuelle Vorversionen in Form einer Live-CD herunterladen. Dabei sei allerdings auf diverse Einschränkungen hingewiesen: So funktionieren einige der zentralen Features - etwa die Sharing-Funktionen - derzeit noch nicht, schlicht weil das umgebende Netz und die echte Hardware fehlen. Andere Komponenten wurden noch nicht fertig implementiert. Dafür lässt sich bei der Live-CD auf einen klassischen GNOME-Desktop umschalten, immerhin ist diese Umgebung primär zur Entwicklung gedacht.

Abwarten

Trotzdem präsentiert sich Sugar schon jetzt als interessanter Ansatz, um ein einfaches Interface für eine Umgebung zu schaffen, in der Zusammenarbeit im Vordergrund steht. Ob man damit auch langfristig erfolgreich ist, und die gewählten Ansätze auch in der Realität funktionieren, lässt sich freilich seriöserweise noch nicht prognostizieren.

Zeitplan

Diese Frage wird sich wohl erst endgültig beantworten lassen, wenn der OLPC XO eine Zeit lang im Einsatz gewesen ist. Immerhin sollte bis zum ersten Masseneinsatz nicht mehr all zu viel Zeit vergehen: Der aktuelle Zeitplan sieht die Fertigstellung von Hard- und Software für Mitte August vor, im Herbst soll dann die erste Runde der Geräte ausgeliefert werden. Für die EntwicklerInnen ist damit dann freilich die Arbeit noch lange nicht abgeschlossen. Neben laufenden Verbesserungen will man anschließend die Entwicklung der "Generation 2" des OLPC XO in Angriff nehmen. (Andreas Proschofsky)

Screenshot: Andreas Proschofsky