Grazil bis zum Anschlag und von Alois kundig in die Schräglage gebracht: die Reißerische.

foto: gluschitsh

Alois Rausch lebt in München. Oder in der Nähe halt. So genau hab ich ihn nicht gefragt. Es tut ja auch nichts zur Sache. Zur Sache tut, dass er eine Schule hat. Eine, die alle möglichen und unmöglichen Arten des Motorradtrainings anbietet. MS2 heißt sie. Noch wichtiger: Er hat die Reißerische und mich eingeladen, ihn doch einmal zu besuchen. Taten wir auch. Wir suchten uns was schon ziemlich Unmögliches, jedenfalls Einzigartiges aus. Das Schräglagentraining.

Bedingung: Sehr gute Kenntnisse rund ums Motorrad fahren. Dass ich kein Eisen dareiten mag wissen eh schon viele, der Herr Alois anscheinend nicht. Was wir ihm gänzlich verschwiegen haben ist, dass die Reißerische noch keine 30 km Asphalt im Hinterbock hat.

Das Schräglagentraining sieht wie folgt aus: Vertraut machen mit den Flügeln, Schräglagen ohne Kreiselkräfte und Schräglagen unter Ausnützung der Kreiselkräfte. Oder auf glu-Deutsch: 1. Herumeiern und an die Stützradel gewöhnen,
2. Blamieren bis auf die Knochen, weil ich den ersten Punkt noch nicht erledigt hab und
3. hoffentlich bring ich das Knie auf den Boden, ohne dass die Ohren wieder gleichzeitig am Boden schleifen.

Auf Alois-Münchner-Deutsch: "Wir fahren heute ein Scheibhaus-Radl*, auf Schreibreifen* und wir werden Schräglagen fahren, von denen bis dato keiner von euch geglaubt hat, dass sie überhaupt mit einem Motorrad fahrbar sind." (* Name von der Redaktion geändert, aber bekannt.)

Alois hat manchmal schon ein bisserl eine derbe Aussprache. Wenn er lieb ist, brüllt er mir mitten in der Übung zu: "Hör auf, bitte, ich kann mir das nicht anschauen", oder "Komm stell ab, es ist ja schad um den Sprit." Aber niemals ist irgendwas böse gemeint, sondern dient immer sehr gezielt zur Auflockerung und Motivation. Funktioniert perfekt und zaubert dem verkrampftesten Fahrer ein Lächeln ins Gesicht.

Die 27 PS starke 500er Suzuki mit den Holzreifen wird auf einem Parkplatz in der Münchner Vorstadt gefahren. Der Parkplatz zeichnet sich durch unterschiedliche Bodenbeschaffenheit aus. Unter der Woche ist er ein Autofriedhof wie etwa der bei der SCS. Kein besonders griffiger Asphalt, und extrig gekehrt ist dort natürlich auch nicht geworden.

Der Alois ist kurz vor der Knieschleiferei einmal mit einem Einkaufswagerl mit Bürsten über den Teil des Platzes gefahren, auf dem er dann die Huterl aufgestellt hat. Aber normalerweise würde man nicht meinen, dass man dort umlegen kann. Schon gar nicht Knieschleifen. Alles in allem ist jedes einzelne Teil der Trainingsanordnung schlechter als das, was jeder Teilnehmer gewohnt ist. Na gut, außer der Reißerischen, weil die ist ja gar nichts außer mir gewohnt.

Die ersten Übungen dienten dem "sich vertraut machen mit dem Gerät". Die Flügel, wie der Alois die Stützradeln nennt, haben natürlich auch ihr Gewicht. Und wenn die unkontrolliert am Boden aufsetzen, dann ruckelt das Gstell der Suzi wie das meiner Oma beim Teppich ausklopfen – oder den Opa. Falls der grad passat vom Kirchenwirt kommt.

Zweiter Teil: Im Schleichermodus durfte jeder Teilnehmer ein ganz einfaches Geheimnis erfahren, "Das Eisen kann es eh – lass es fahren". Alois versuchte uns krampfhaft das Krampfhafte auszutreiben und zeigte einige wirklich gute Tricks. Etwa, wann belaste ich welche Fußraste und vor allem warum. Wann bremse ich über welches Rad. Wo muss das Gewicht des Piloten in welcher Fahrsituation sein.

>>>Je ärger die Gräder ...

Die Faustregel nach Alois "Sack auf den Tank" bleibt natürlich im Gedächtnis, auch wenn die Reißerische bis heute nicht über die anatomischen Grundvoraussetzungen verfügt. Aber für sie hat Alois schnell und eloquent ein Pedant gefunden, das ich jetzt für mich behalte.

Im dritten Teil wurden dann die Kreiselkräfte der Räder genutzt. Also höhere Geschwindigkeiten. Wir testeten welcher Fahrstil – Legen, Drücken, Hang-off – wohl am sichersten ist. Beim Legen bilden Fahrer und Motorrad eine Linie. In unserem Fall stellten wir die Stützräder auf 45 Gräder.

Die aufgestellte Acht konnte im Legen mit rund 22 km/h durchfahren werden. Drücken: Motorrad in 45 Grad Schräglage, Fahrer aufrecht am Motorrad. Die Geschwindigkeit war nur leicht geringer. Im Hang-off brauchte man bei gleicher Geschwindigkeit den Bock nicht einmal gescheit umlegen. Bleibt also, Knie schleifend mit über 30 km/h durch die Acht zu wetzen. Hang-off rules. Ganz klar.

Am Ende klappen wir die Flügel so weit ein, dass das Aufsetzen des seitlichen Plederers schon fast einem Sturz gleichkommt. Die Übung sieht also so aus: Das Stützrad gerade nicht auf den Boden bringen, das Knie sehr wohl und am Kurvenausgang einen feinen Slide hinlegen. Das Edle dabei ist, man kann fast nicht stürzen. Nicht so, dass man sich weh tut. Denn im Sturzfall landet das Motorrad am Flügel und wenn es den Piloten vom Bock reißt, endet der auf dem am Flügel angebrachten Blech und dreht sich einfach mitsamt dem Eisen ein.

Was dann kam, können Sie sich, werte/r LeserIn, wohl vorstellen. Es wurde Stoff gegeben bis alles aufsetzte, was zu tief angebaut ist. Es gab zwei erstaunliche Ergebnisse.

Zum Ersten fuhr die ungeübte Reißerische ab Mittag nur mehr am Knie spazieren, und das in Schräglagen, die jedem normalen Straßenfahrer fremd sind.

Zum zweiten: Man glaubt gar nicht, was alles geht wenn man keine Angst vorm Stürzen hat. Zwölf Runden durch den aufgestellten Achter, mit schlechtem Equipment und miesen Reifen auf einem Asphalt der nicht mehr hält als das Versprechen eines Mannes wenn er Sex will. In jeder Runde slidet man zwei Mal am Kurvenausgang, Schräglage exorbitant und das Stützrad setzt nicht einmal auf. Was heißt, man hätte das auch ohne den angeschweißten Sicherheitsgurt fahren können – aber man hätte sich nie im Leben getraut. (Text: Guido Gluschitsch, Fotos: Gabriele Fischer, Guido Gluschitsch; derStandard.at, 12.4.2007)