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Versuche, die "orangene Revolution" wiederzubeleben: Pro-Juschtschenko Demonstrantin im Zentrum Kiews.

EPA/SERGEY DOLZHENKO
Die Anspannung des innenpolitischen Nervenkriegs in der Ukraine ist den Gesichtern der Hauptkontrahenten bereits tief eingeprägt. Am Dienstag starteten sie einen weiteren Kommunikationsversuch, der abermals ergebnislos endete. Präsident Viktor Juschtschenko bleibt dabei: Das Parlament ist durch den Präsidentenerlass von Anfang April abgesetzt, Neuwahlen sind so schnell wie möglich durchzuführen. Aber auch der Chef der blau-weißen Regierungskoalition, Premier Viktor Janukowitsch, gibt nicht mehr weiter nach: Nachdem er die 18 Abgeordneten, die von der Opposition zur Koalition übergelaufen waren und damit den Präsidentenerlass provoziert hatten, in einer Goodwill-Aktion wieder zu ihren alten Parteien zurückgeschickt hatte, besteht er nun darauf, dass das Verfassungsgericht entscheide.

Am Mittwoch tritt das Höchstgericht erstmals zusammen. Unter schlechten Vorzeichen, denn es erscheint höchst fraglich, ob Juschtschenko einen Entscheid des Gerichts anerkennt, wenn dieser sich gegen ihn richtet. Die Zeichen dafür mehrten sich am Dienstag. Anders lässt es sich nämlich nicht erklären, dass plötzlich fünf der 18 Verfassungsrichter eine Teilnahme an der Sitzung ablehnten - angeblich, weil Druck auf sie ausgeübt wurde. Vier der fünf kommen aus jenem Drittel der Höchstrichter, deren Ernennung dem Präsidenten zusteht. Das Quorum für die heutige Sitzung ist aber dennoch gegeben.

Das Recht ist durchaus nicht unbedingt aufseiten der "Orangen". "Die in Punkt 90 der Verfassung aufgeführten drei Situationen zur Auflösung des Parlaments waren zur Zeit des Präsidentenerlasses nicht gegeben", sagt Wladimir Malinkowitsch vom Institut für politische Studien in Kiew zum Standard. Juschtschenko habe sich auf den abstrakteren Paragraf 102, der den Präsidenten als Garanten der staatlichen Souveränität und der Verfassung führt, und auf Paragraf 83, der den Modus der Koalitionsbildung regelt, bezogen. Nicht bezogen habe er sich auf Paragraf 81, der den Austritt von Abgeordneten aus der Fraktion behandelt und damit aber der Parlamentsregelung (Nr. 61) widerspricht. Auch das Parlament (real: die Deputierten der Koalition) tage laut Malinkowitsch derzeit völlig rechtmäßig, obwohl die "Orangen" es boykottieren.

Auch wenn die Anzahl der blau-weißen Demonstranten am Dienstag 15.000 nicht überschritt, blieb die Atmosphäre in Kiew zum Zerreißen gespannt. Schon am Montag kursierten Informationen, dass Juschtschenko den Ausnahmezustand verhängen würde. Andererseits hat selbst der mächtige Chef der Präsidialkanzlei, Viktor Baloga, eine mögliche Verschiebung der für 27. Mai angepeilten Wahlen und damit einen Kompromiss angedeutet. Dieser könnte darin liegen, dass der Präsident die Wahlen bekommt, seinen Erlass aber bis dahin einfriert.

Andernfalls wird die Notwendigkeit von Vermittlern immer dringender. Die russische Duma will demnächst bereits eine Delegation nach Kiew schicken. Janukowitsch hat auch nochmals an den Westen appelliert. Europäische Spitzenpolitiker stehen nach Angaben aus Diplomatenkreisen in Dauerkontakt mit Kiew. In der EU wolle man mit einer Vermittlung bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts aber noch abwarten. (Eduard Steiner aus Kiew/DER STANDARD, Printausgabe, 11.4.2007)