Franz Xaver Kroetz: "Meine letzten Stück waren ja so was von grauslich - wollte keiner mehr spielen!"

Foto: Regine Hendrich
Wien - Ein Porträt - über das Überwintern in unwirtlichen Zeiten: Sitzt einem der Nicht-mehr-Dramatiker Franz Xaver Kroetz frohgemut und breit grinsend auf einem Fauteuil im Josefstädter Direktionszimmers gegenüber, könnte man ihn für ausgesöhnt halten - mit den Zeitläuften, die mit seinen Volkstheaterstücken nichts mehr anzufangen wissen. Mit einer gelegentlich in den Medien aufblitzenden Häme, die den 61-Jährigen vom angestammten Platz an der "Reiseschreibmaschine" an diverse Regiepulte in München (Residenztheater) und nunmehr eben im Wiener Josefstadt-Theater geführt hat.

Kroetz spricht bajuwarisch. Er fühlt sich "saubled" behandelt von Stimmen, die ihm, dem Veteranen einer eingreifend gedachten Sozialdramatik, rundweg das Können als Theatermacher absprechen. Fragt man ihn nach dem selten gespielten Schnitzler-Dreiakter Der Ruf des Lebens, einem verqueren Text über halbtote Junge und ganz tote Alte, den er ab 19. April zur Aufführung bringen soll, frohlockt er vorsorglich: "Sie werden sich wundern! Ich bin ein profunder Schwätzer!"

Als ihn das Josefstadt-Theater einlud, "dachte ich mir: Ich mach an Österreicher!" Er hätte schon 1970 gerne einen Turrini fertig inszeniert - "das ist dann halt nix wor'n." Er habe vor Kurzem Anzengruber in München aufgeführt und, so Kroetz: "Ich schätze Gert Jonke zum Beispiel außerordentlich! Den kennt nur bei uns draußen ka Sau! Schnitzler kennen s' aa net."

Er habe sofort Ja gesagt. Und habe sich nach Ausschlagen des Einsamen Wegs ("Zu verzopft!") und des Spiels der Sommerlüfte ("Zu ätherisch!") schließlich zum Ruf des Lebens vorgearbeitet: "Ein Professor Bernhardi, des hot ja koan Sinn. Da bist du umzingelt von lauter erstklassigen Aufführungen, am Burgtheater und anderswo, und jeder sagt: ,Jetzt hob ich zwoar deine Aufführung gesehen, aber kannst dich erinnern: Damals war auch noch a guade ...!"

Dann sei er nach Teneriffa gefahren, wo er eine Bibliothek von 500, 600 Büchern besitze - "Was im Norden von Teneriffa eine Sensation ist ...! Da gibt es keinen zweiten Deutschen, der mehr als zehn Biacha hot ..." -, und habe in seiner Schnitzler-Ausgabe herumgeschmökert. "Da bin ich plötzlich im ersten Akt eines Stückes gewesen, das mich wahnsinnig fasziniert hat." Beim zweiten Akt wandelte Kroetz bereits tiefer Missmut an ("Des geht jo goar net ...!"), im dritten ließ ihn, Kroetz, dann Tschechow grüßen.

Ehre, wem sie gebührt

Umschreiben hätte er das sperrige Ding sollen. Aber: "Ein Kaas." Im zweiten Akt disputieren Kavallerieoffiziere, die in den Krieg ziehen, über einen Ehrbegriff, der die Sühnung einer 30 Jahre alten, mehr behaupteten denn verbürgten Schuld im Feuer der Feldhaubitzen erzwingen soll.

"Wir kämpfen im jeden Fall bis zum Tode", mit so etwas kann man Kroetz nicht kommen. Er habe das Stück dann trotzdem nicht umgeschrieben. Aber genau deswegen interessiere ihn die Scharteke ja: "Weil's nicht ganz fertig ist. Weil's so schräg ist." Weil es sich in Wahrheit um drei merkwürdige Einakter handle: "Und da komm' ich daher und gieße etwas darüber, damit es so eine Soße wird?" Nein, nicht mit ihm, dem Kroetz.

Etwas "so machen, wie es ist": Darüber kann sich Franz Xaver Kroetz lange aufhalten. Als die Theater mit Beginn der Nuller-Jahre davon abkamen, seine Stücke uraufzuführen, habe er das eben zur Kenntnis genommen. Wirklichkeitssinn: Das bewog ihn, das Scheitern seiner Ehe mit der Maria-Schell-Tochter Marie-Theres Relin zur Kenntnis zu nehmen - und nach Jahren als Hausmann und liebender Vater dreier Kinder auf Teneriffa den Rückweg nach München anzutreten.

"Bin ich zu meinem alten Freund, dem Dorn Dieter am Residenztheater, gegangen und hob gesogt: ,Wann jetzt du mi aa nimmer nimmst ...!'" Der nahm ihn aber, der Dieter.

Und so freut sich Franz Xaver Kroetz, der frühere Baby Schimmerlos (Kir Royal), an der Seite von Tobias Moretti in Fernsehfilmen zu spielen. Oder darüber, neue Stücke der jüngeren und jüngsten (Ex-) Dramatikerkollegen und -kolleginnen erst gar nicht mehr lesen zu müssen.

"Ein solcher Scheißdreck. Alles aus zweiter, dritter Hand. Und dabei die Sprache - so gelahrt, so ein pseudointellektueller Jargon!" Wenn dem Kroetz in den 70-, 80er-Jahren ein Problem unter den Nägeln brannte, setzte er sich eben hin - und schrieb das entsprechende Stück in zwei, drei Wochen herunter.

Heute solle man ihn mit dem "Ruhm" herzlich in Ruhe lassen. Bei Rotbuch liegen seine gesammelten Stücke in einer schmucken Kassette vor. Wer wolle, könne alles nachlesen - über Vertreter der unteren Mittelschicht, die ihre verdruckste Sprachlosigkeit in erbarmungswürdige Übersprunghandlungen hinüberretten.

Ob er, Kroetz, etwas mit dem Heiner-Müller-Satz anfangen könne, wonach manche Texte warten können müssten, bis ihnen wieder geschichtliche Erfahrung zuwachse? "Jo, sehr viel" könne er mit diesem Satz anfangen. "Aber im Ernst: Hören S' Ihnen heute die Sätz' in einem Fassbinder-Stück an: Mein lieber Freund, da raschelt dös Papier ...!"

Schreiben werde er nicht mehr, nein. Damit sei er fertig. Sagt Kroetz, hüpft auf, zückt einen Asthmaspray und wirkt dabei so fröhlich, als sei eine Last von ihm abgefallen. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Printausgabe, 02.04.2007)