Flowerpornoes: "Wie oft musst Du vor die Wand laufen, bis der Himmel sich auftut?" (V2/edel 2007)

Coverfoto: V2

Die Flowerpornoes 2007 - ?

Foto: V2 Records

"Hier kommt das Leben und was davon übrig blieb ... hier kommt Rock'n'Roll!"

Jede Gitarrenband hat ihre ganz typischen Akkorde. Die der Flowerpornoes strömen direkt in den Bauch, verbreiten Wärme und das Gefühl zuhause zu sein (einmal in "Zahnarzttochter" auf dem neuen Album reinhören, und jeder weiß, was ich meine). Von jeher umgab die Musik der ursprünglich in Duisburg geborenen Band – Pop, Folk, ein bisschen Blues und ebenso ein bisschen Rock – eine Aura von Friedfertigkeit, von Mensch sein und von großer Abgeklärtheit – doch ohne jede Spur von Verbitterung. Und immer wieder durchzog sie eine leise Traurigkeit: Von der Sorte, die einen befällt, wenn die eigenen Kinder erwachsen das Haus verlassen oder ein anderer Lebensabschnitt zu Ende geht. Und dass es dennoch gut ist, wie es ist.

Die Flowerpornoes rund um den Sänger und genialen Textschreiber Tom Liwa waren die Stimme der ersten Generation von in WGs aufgewachsenen Kindern, stets sympathisch und anfangs noch ein wenig überdreht: Anfangs heißt 1988, mit dem selbstbetitelten Debütalbum und noch ausschließlich auf Englisch gesungenen Stücken wie "Teenage Urgh Argh" oder "I never wanted to fall in love with Brix Smith" ... damals Frau von The Fall-Mastermind Mark E. Smith; seinerzeit ein auf der Hand liegender popmusikalischer Verweis, heute schon erklärungsbedürftig – soviel Zeit ist also inzwischen vergangen.

"Fünf Jahre nach mir und drei Jahre nach Blumfeld kaufen sie alles ein, was Deutsch singt"

Und dann legten sie das Verspielte allmählich ab und wurden vor aller Augen und gleichauf mit ihrer Generation erwachsen. Und sie begannen auf Deutsch zu singen – zur damaligen Zeit (noch vor der Blumfeld- und Sterne-Ära) eine absolute Seltenheit! 1989 unternahmen sie auf dem Minialbum "Pumpkin Tide" die ersten Gehversuche, das Album "As trivial as life and death" von 1990 war dann schon halbe-halbe zweisprachig. Tom Liwa entdeckte, dass er seine Songschreiber-Gabe in seiner Muttersprache am besten umsetzen konnte, und nach einer ersten Umbesetzungsphase folgte die große Zeit der Band ...

... die nun nach elf Jahren Pause mit "Wie oft musst Du vor die Wand laufen, bis der Himmel sich auftut?" so nahtlos fortgesetzt wird, als ob es sich um ein direktes Anschlussalbum handelte. Mit dabei wieder Birgit Quentmeier und Markus Steinebach aus den goldenen Tagen der Band. Tim Isfort hat Streicherarrangements ("Tahiti", "Auf der Baustelle") beigesteuert und Liwas Frau Alex singt einmal mehr mit ihm die Harmonien ("Apfelkern"). Sie war es auch, die einst einen der schönsten Flowerpornoes-Songs überhaupt geschrieben hatte: "Umrisse weicher" (Auf "Mamas Pfirsiche", 1993) – eine Lichtwelle von Trost und Hoffnung, mehr als nur ein Lied.

Das Comeback ist unbedingt zusammen mit den drei großen Alben der 90er Jahre – "Mamas Pfirsiche", "Red' nicht von Straßen, nicht von Zügen" (1994) und "Ich & Ich" (1996) – zu sehen. Allein schon deshalb, weil die Flowerpornoes kaum jemals Sofort-Knaller geschrieben haben, sondern – mag's auch klischeehaft klingen – erst durch einen Gesamtüberblick in ihrer wahren Größe erahnbar sind.

Außerdem enthalten diese drei Alben einige Songs, die zum Besten gehören, was je in deutscher Sprache geschrieben wurde, und jede Tauchfahrt nach alten Platten im Second Hand-Geschäft oder auf ebay lohnen. Darunter Todtrauriges wie das Lied von der Liebe, die so lange verheimlicht wurde, bis es zu spät war: "Was der Arzt sagte" (auf "Red' nicht von Straßen"). Oder das Stück, das so gut wie vielleicht kein anderes jemals ausgedrückt hat, was es heißt erwachsen zu werden: "Sie sagt: ich hab mich entschieden / ein bisschen so zu werden / wie ich nie wollte, dass ich werde / ich will nun mal irgendwohin ..." (auf "Ich & ich").

"Ich red mit niemand speziellem, ich red mit meiner Stimme"

Dass die Flowerpornoes trotz ihrer Qualität und dem unbestreitbaren Einfluss auf unzählige deutschsprachige Bands von Blumfeld bis Tomte selbst niemals Star-Status erlangten, lag nicht zuletzt an einer gewollten Verweigerungshaltung gegenüber dem Pop-Business. Der Song "Stadion" auf "Ich & ich" zeigte sehr schön, was von Starallüren – auch heute noch – gehalten wird: "Von all den Idioten bin ich der Größte. Gigantisch und müde, für immer dein. Jetzt darfst du mich anfassen ..."

Ebenso ignorierte Liwa die Regel der direkten Ansprache: Um Pop-Appeal zu erzeugen, muss ein "Du" angesprochen werden oder ein "Wir"-Gefühl hergestellt werden – er erzählte und erzählt statt dessen lieber Geschichten von sich oder in der dritten Person; Verwirrung des Publikums wird in Kauf genommen.

"Die Scheiße kann ich nicht senden, weil es alles nur nicht knallt"

... heißt es in "Sigmund Grimm", einem der schnelleren Stücke auf dem neuen Album. Auf mehreren Ebenen vom Psycho-Alltagsgespräch bis zu Märchenmotiven steuert der Song das Thema Furcht an – genausogut könnte obiger Satz aber für die Aufnahme der Flowerpornoes und ihre "kommerzielle Verwertbarkeit" stehen.

Nach dem Band-Ende in den 90ern setzte Liwa seine Musikerlaufbahn solo fort, zunehmend stiller und auch schwieriger werdend: Dass die Texte auf "Wie oft musst Du vor die Wand laufen ...?" stärker poetisch verschlüsselt sind als früher, mag als Erbe jener Zeit angesehen werden; ebenso wie die musikalisch untermalten Sprechstücke "Nicolas H." und "Mikado". Als Kontrastprogramm rockt "Kerstin Loose" so – Entschuldigung für das altbackene Wort – fetzig los, wie's die Flowerpornoes seit Ewigkeiten nicht mehr getan hatten. Die mit der Wiedervereinigung erfolgte Erdung Liwas wirkt wie ein befreites Aufatmen.

Das wunderbar entspannte Stück "Tänzer" steht daher folgerichtig am Schluss des Albums – noch einmal wird hier das Motiv der Rückkehr nach einem abgeschlossenen Lebensabschnitt aufgegriffen. Möge der jetzt begonnene noch lange währen: Die Flowerpornoes sind die Besten. (Josefson)