Trent Reznor von den Nine Inch Nails sorgt im Wiener Gasometer für schlechte Laune in übler Gegend.

Foto: Christian Fischer
Wien - Schaurig-schöne Schilderungen des Niedergangs. Das Vordringen zum Epizentrum der Verbitterung. Gram über das Leben und sein grundsätzlich nicht das große Glück bereithaltende Versprechen auf einen Mehrwert. Wir wollen alle immer nur dorthin, wo es richtig wehtut!

Die Suche nach wirklich drastischer Musik ist in jungen Jahren die Suche nach Relevanz. Bevor die Geschmacksverfeinerung und deren mitunter faule Kompromisse kommen, muss es so richtig intensiv werden.

Trent Reznor und sein im Studio vorwiegend im Alleingang und live mit austauschbaren Musikern betriebenes Unternehmen Nine Inch Nails definieren von den späten 1980er-Jahren herauf bis heute nicht nur jenen prototypischen Schmerz, der entsteht, wenn die Jugend der westlichen Vorstädte spätestens im Teenager-Alter damit konfrontiert wird, dass Familien oft ebenso wenig funktionieren wie soziale Systeme.

Der Sound der durchaus auch gegen sich selbst gerichteten Aggression aus Wut und Verzweiflung machte die Nine Inch Nails im letzten Jahrzehnt auch zu Säulenheiligen einer Kundschaft auf der Suche nach Dringlichkeit und Widerstand gegenüber jenen Alten, die wir alle selbst auch einmal werden könnten - wenn alles schief läuft.

Wie das erste von zwei innerhalb kürzester Zeit ausverkauften Konzerten im Wiener Gasometer vor jeweils 3000 dunkel gekleideten Menschen zeitigte: Der bald 42-jährige Multiinstrumentalist hat dabei auch nach beinahe 20 Jahren im Geschäft noch immer nicht den Draht zu seiner immergleich jungen und ästhetisch wie sittlich noch nicht gefestigten Kundschaft verloren. Über die Hilfsbrücke einer als Gegentaktik zur früheren Drogenabhängigkeit mittlerweile im Fitnessstudio betriebenen Sucht, den Körper als muckibewehrte Kampfmaschine gegen das Böse, Ausweichende und Falsche zu trainieren, warf sich Trent Reznor am Donnerstag also mit einer Hand voll eher nicht so gesund aussehender Begleiter aus dem Themenpark Edward mit den Scherenhänden in ein eineinhalbstündiges Liveprogramm, das sich unerwarteterweise vor allem aus älterem Songmaterial aus dem Arbeitskatalog bediente.

Zu sinistren und martialischen Gitarrenriffs aus der Heavy-Metal-Konfektionsware für uneinsichtige wie unerbittliche Menschen (die Nine Inch Nails haben die Freunde von Marilyn Manson mehr als nur ein bisschen beeinflusst), gesellten sich bei nur zwei sanftmütigeren Versuchen auch im Gasometer nur prügelharte Technobeats und Songs aus der wilderen Frühphase der Band.

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Das Mitte April kommende neue Album Year Zero wie auch sein Vorgänger von 2005, With_Teeth, fanden nur mit der aktuellen Single Survivalism Beachtung. Dafür setzte es grundsätzlich an der Kippe zur gut posierten Hysterie gebrüllte Songs aus den Produktionen Broken oder The Downward Spiral.

Nach 90 Minuten Gewitterregen mit Böllerschüssen und Schlachtschussapparat, Schmerz und Wut, Leben ist Blut, folgte schließlich eine zackige Coverversion der britischen Verzweiflungsväter und -täter Joy Division mit Dead Souls, sowie zwei hausgemachte Klassiker der üblen Laune in schlechter Gegend: The Hand That Feeds und Head Like A Hole. Dazwischen eingestreut das von Johnny Cash zum Klassiker gemachte Junkie-Bekenntnis von Hurt.

Diese Jahrhundertnummer offenbarte dann auch das große Defizit, das die Suche von Trent Reznor nach Wahrhaftigkeit ausmacht: Der Mann hat keinen Humor - und beinahe keine Distanz zu seinem eigenen Schaffen. Wer bei Hurt wirklich vor Ergriffenheit und Rührung weinen möchte, sollte auch weiterhin auf die Version von Johnny Cash zurückgreifen oder sich auf YouTube unter dem Suchbegriff "Sad Kermit" die tatsächlich Tränen treibende Deutung des Liedes von Kermit, dem Frosch, zu Gemüte führen.

Großes Pathos muss ironisch gebrochen werden. Sonst geht das Publikum zugrunde. Wir alle wollen keine Menschen nach dem Konzert in der U-Bahn, die bei Kunst keine Erlösung finden. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Printausgabe, 31.3./1.4.2007)