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Das traditionelle Six-Nations-Turnier der europäischen Rugby-Großmächte war heuer von besonderem Interesse. Denn neben der Kür des stärksten Teams der nördlichen Hemisphäre galt es auch als wichtigste Standortbestimmung vor der Weltmeisterschaft, die bereits in fünf Monaten in Frankreich angepfiffen wird (mit einigen Spielen in Cardiff und Edinburgh).

Wie sehen nun die Schlussfolgerungen aus? Zu allererst: WM-Topfavorit Neuseeland wird nach den gezeigten Leistungen sicher nicht in Panik verfallen müssen. Ein europäischer Herausforderer der den All Blacks ernsthaft gefährlich werden könnte, ist weiterhin nicht in Sicht. Die vor Turnierbeginn vermutete Hackordnung erwies sich weitgehend als konsistent mit dem Klassement danach. Augenfälligste Konstante war vielleicht die Inkonstanz der Mannschaften, die alle mit mehr oder weniger großen Leistungschwankungen aufwarteten. Souveränen Auftritten folgten überraschende Rückschläge auf dem Fuß. Etwa die glatte Niederlage der Franzosen gegen England in Twickenham, die Niederlage der Iren zu Hause gegen Frankreich oder die Pleite der Engländer am Schlusstag in Cardiff gegen Wales. Was auch heißt: die Leistungsdichte im heurige Turnier war sehr hoch, jeder war in der Lage jeden zu schlagen. Das garantierte Spannung beim Publikum und für die Spieler eine Herausforderung bei jedem Antreten. Stilistisch bemerkenswert war der in allen Lagern erkennbare Wille zum riskanten Offensivspiel, den man auch unter Druck durchzuhalten versuchte. Das Vorbild der dem Kombinieren verpflichteten Neuseeländer wirkt stärker denn je. (Bild: Frankreich samt Siegerpokal)

Foto: Reuters/Wojazer

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Frankreich, das nunmehr vier der letzten sechs Turniere gewinnen konnten, erwies sich als stabilste Mannschaft mit den wenigsten Schwächen. Les Bleus schafften mit dem (wie sich später zeigen sollte für den Ausgang des Turniers letztlich entscheidenden) Sieg in Dublin ihren bemerkenswertesten Erfolg. In der engen Auseinandersetzung mit den so heimstarken Gastgebern, zeigten sie sich in der Endphase nervenstark und fähig, auch unter großem Druck zu bestehen. Etwas, das den technisch traditionell ausgezeichneten Galliern, in der Vergangenheit oft nicht so gut gelang. In einer auf Messers Schneide stehenden Auseinandersetzung das Glück mit der buchstäblich letzten Aktion zwingen zu können, ist eine für das Selbstvertrauen eines Teams eine immens wichtige Erfahrung. Umso besser, wenn es sich wiederholen lässt. Denn auch gegen die Schotten schaffte es die französische Mannschaft in den letzten Minuten mit einem Versuch jene Punkte anzuschreiben, die im Fernduell mit den Iren um Platz eins den Unterschied machten. Eine derartige Standfestigkeit vorausgesetzt und mit dem Publikum im Rücken, ist für sie beim World Cup einiges möglich. (Bild: David Marty pflügt durch Schottland.)

WM-Barometer: 2*

* Auf einer Skala von 1 ("Bereits in Finalform") bis 5 ("So wird's schon in der Vorrunde schwer")

Foto: Reuters/Schulz

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Das hoch gehandelte Irland verpasste zwar aufgrund einer schlechteren Try-Differenz bei Punkt-Gleichstand mit Frankreich hauchdünn Platz eins, zeigte aber sein Potential und konnte sich mit der Triple Crown (Auszeichnung für jenes Team, das gegen alle andern von den britischen Inseln gewinnen kann) trösten. Die Iren verfügen derzeit vermutlich über das größte spielerische Potential. Wird es realisiert, sind Glanztaten wie das 43:13 über England möglich - die vielleicht singulär beeindruckendste Leistung im Turnierverlauf. Gelingt der Mannschaft allerdings einmal kein guter Start und muss sich in ein Spiel kämpfen, bekommt sie Schwierigkeiten. Das wurde beim glücklichen 18:17 gegen die limitierten Schotten, denen es gelang den Fluss der irischen Aktionen abzuwürgen, recht deutlich. Dass das Match gegen die Franzosen, den Sieg schon vor Augen, noch aus den Händen glitt, könnte für das Wiedersehen im September einen psychologischen Nachteil bedeuten. Dann trifft man sich in der WM-Gruppenphase im Stade de France wieder. (Bild: Jubel um Isaac Boss, Englands Josh Lewsey not amused.)

WM-Barometer: 2

Foto: Reuters/Doherty

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Exkurs. Die Heimspiele aus dem im Umbau befindlichen Stadion an der Lansdowne Road in den riesigen Croke Park auszuweichen, erwies sich als gelungenes Experiment. Dabei diese Entscheidung eine durchaus delikate. Es ist nicht lange her, da war es unvorstellbar, auf dem geheiligten Boden des gälischen Sports "englische" Spiele zuzulassen. Der Hausherr, die Gaelic Athletic Association (GAA), hat ein entsprechendes Verbot erst 2005 aufgehoben. Croke, in Nord-Dublin gelegen, ist nicht einfach ein Stadion. Es ist eine Stein gewordene Manifestation irischer Selbstbehauptung gegenüber britischer Unterdrückung. Dass nun ausgerechnet dort das englische Team antrat, God Save The Queen erklang und alles vor 82.300 Zeugen auch noch in angenehmer Atmosphäre vonstatten ging, kann als weiterer Schritt einer Normalisierung in der so lange belasteten Beziehung der beiden Nationen gesehen werden. (Bild: Die Engländer vor Hill 16. Diese Tribüne wurde aus Trümmern des beim Osteraufstand 1916 zerstörten Hauptpostamtes erbaut, unter dessen Verteidigern auch ein GAA-Bataillon gewesen war.)

Foto: Reuters/Doherty

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Die Engländer haben sich damit abzufinden, ihre Spitzenposition in Europa womöglich auf längere Sicht los zu sein. Der regierende Weltmeister muss sich enorm steigern, um den eigenen Ansprüchen auch nur halbwegs genüge tun zu können. Besonders bedenklich ist die frappierende Auswärtsschwäche (13 Niederlagen hintereinander). In Irland wurde die Mannschaft regelrecht auseinander genommen und erlebte ein in seinen Ausmaßen historisches Debakel. Die Transition vom drögen wie traditionellen englischen Konzept, mit seinem Akzent auf körperlich starke Sturmreihen, Territorialgewinn und Punkte aus Standardsituationen, zu einer offeneren Spielanlage erweist sich noch als Stückwerk. Besonders in der Defensive gibt es für das Betreuerteam um den neuen Cheftrainer Brian Ashton noch viel zu tun. England musste in fünf Spielen 115 Tries hinnehmen, schlechter lagen da nur noch Italien und Schottland. Die WM kommt für den schlafenden Riesen des Weltrugby möglicher Weise etwas zu früh. (Bild: Jonny Wilkinson beim Try-Hecht)

WM-Barometer: 3

Foto: Reuters/Martinez

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Absolut befriedigend verlief das Turnier für Italien. Unter dem französischen Coach Pierre Berbizier konnte die durch ihre Disziplin und Kampfkraft beeindruckende Mannschaft ihren Aufholprozess fortsetzen. Erst seit dem Jahr 2000 zur Teilnahme eingeladen, steht der ehemalige Punktelieferant nun in Schlagdistanz zu Schotten und Walisern. Die regelmäßigen Vergleiche haben die Spieler, von denen eine ganze Reihe in der starken französichen Liga engagiert sind, an das Leben auf höchstem Niveau gewöhnt. Mit einem wahrlich historischen Erfolg in Murrayfield gegen Schottland gelang der erste Auswärtssieg gegen ein Team aus den großen Fünf. Weitere zwei Punkte aus dem Heimspiel gegen Wales brachten Italien im Schlussklassement auf Platz vier - und hoch wie nie. Unsicherheitsfaktor bleibt die nicht adäquat bestückte Auswechselbank. Um bei der WM (vielleicht) zu bestehen, ist Italien auf die Fitness seiner ersten Garnitur angewiesen. (Bild: Ministerpräsident Romano Prodi hält das Ei beim Besuch der Squadra bereits recht professionell.)

WM-Barometer: 4-5

Foto: Reuters

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Wales, 2005 ungeschlagen Gewinner der Six Nations, musste einige Nackenschläge einstecken. Für die Waliser gilt das Diktum der Unberechenbarkeit ganz besonders. An guten Tagen dank ihres kreativen Genies immer befähigt, jeden Gegner zu gefährden, gilt leider auch der Umkehrschluss - wie die erneute Enttäuschung in Rom gegen die Azzurri beweist, die sich mittlerweile als so etwas wie ein Angstgegner erweisen. Nach vier Niederlagen war die starke Abschluss-Vorstellung Balsam auf die Wunden, mit der Erzfeind England wieder einmal punktelos aus Cardiff veabschiedet wurde. Beeindruckend die Fähigkeit der Waliser, in Zeiten der Not scheinbar aus dem Nichts vielversprechende Spieler aus dem Ärmel zu zaubern. Diesmal war das Flyhalf James Hook, der gegen die Engländer 22 Punkte scorte. Das Beispiel von Gavin Henson, der sich vor zwei Jahren auf ähnliche Weise ins Rampenlicht schnellte und dann an der Rolle des jungen Helden zerbrach, sollte überzogene Erwartungen diesmal gar nicht erst aufkommen lassen. Dass es gelang, den sprichwörtlichen Wooden Spoon (für das Schlusslicht) in letzter Minute an die Schotten weiterzureichen, kann die bestehenden Defizite - zu selten blitzte das ästhetisch so befriedigende walisische Tempospiel auf - nicht übertünchen. Andererseits bedeuten zwei WM-Vorrundenspiele im heimischen Millennium Stadium einen gewaltigen Vorteil gegenüber der Konkurrenz. (Bild: James Hook, Hoffnungsträger)

WM-Barometer: 3-4

Foto: Stu Forster/Getty Images

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Schottland konnte seinen guten dritten Platz aus dem Vorjahr nicht halten. Angesichts der großen Probleme keine große Überraschung. Trainer Frank Hadden muss mit einem sehr begrenzten Reservoir an Spielern auskommen, zusätzlich musste der Verlust einiger zurück getretener Leistungsträger hingenommen werden. Das war für die Schotten nicht verkraftbar, die ihren Tiefpunkt bei der schrecklichen Vorstellung in Edinburgh gegen Italien (in Gruppe C auch bei der WM einer der Gegner) erreichten. Etwas Hoffnung, dass im Herbst mehr möglich sein kann, gibt die Leistung bei der knappen Niederlage gegen die Iren und die immerhin lobenswerte Einstellung, die das Team in Paris zeigte. Dort lieferte man Frankreich zwar ein schön anzuschauendes Duell mit offenem Visier, allerdings ohne je den Funken einer Chance zu haben, Zählbares aus Paris mitzunehmen. Bei der WM die Gruppenphase zu überstehen, wird für die Schotten diesmal nicht einfach werden, auch wenn sie zwei ihrer vier Matches in Edinburgh werden austragen können. (Bild: Sean Lamont hat zu raufen.)

WM-Barometer: 4-5

(Michael Robausch)

Foto: Reuters/Moir