Die fünfjährige Marylin Scott "will" zur "Miss East Coast" werden, trainiert von ihrer Mutter Amy.
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Das Reglement sieht eine Teilnahme ab Geburt vor: In Baltimore können Babys und Kleinkinder "Miss East Coast" werden. Sie leisten Schwerarbeit, weil sich ihre Mütter zum Beispiel einen Werbevertrag mit dem Hersteller der Pampers-Windeln erhoffen.
Frank Herrmann aus Baltimore.


Von Träumen ist viel die Rede. Kenzalia, eine schwarze Sechzehnjährige, träumt davon, berühmt wie Oprah Winfrey zu werden. Mary will ins Peace Corps "und andere auf meinem Weg inspirieren". Roni kann ihren Traum noch nicht in Worte kleiden, sie ist erst 15 Monate alt. An ihrer Stelle spricht ihre Mutter Stephanie Miller: "Ein Pampers-Vertrag wäre schon was", sagt sie.

Roni Miller also, eine Kleine mit dünnen flachsblonden Lockerln, soll das Gesicht einer Windelmarke werden. Deshalb ist Stephanie am Freitagabend mit ihr hergefahren, mehr als 300 Kilometer weit, aus Delaware ins Hilton-Hotel am Flughafen Baltimore. Jetzt ist Sonntag und Roni todmüde. Sie kriegt kaum noch mit, was rings um sie geschieht. Aber sobald sie eine Kamera sieht, lächelt sie so brav in die Linse, als wäre sie auf Kameralinsen dressiert.

Wer am nettesten lächelt, sich am grazilsten bewegt, darf sich die Krone der "Miss East Coast" aufsetzen. Zwölf Altersgruppen buhlen um die Gunst der Jurorinnen und Juroren, von der "Miss Baby"- null bis 23 Monate alt - bis zur "Miss Woman", jenseits der 40. Es sind die Kinder, die klar dominieren.

"Näher zur Jury!"

Vorn im Rampenlicht dreht Marilyn Scott ein paar Pirouetten, Amy, ihre Mutter, führt vom Saal aus Regie. Jede Bewegung geht Amy mit. Sie fuchtelt und schwitzt, macht einen Knicks, wenn die Tochter einen Knicks machen soll. "Sag 'cheese'! Näher zur Jury! Jetzt noch einmal drehen!" Schwerstarbeit. Aber es soll sich ja lohnen.

400 Dollar haben die Scotts allein in das irisch-grüne Kleiderl investiert, in dem Marilyn über die Bühne trippelt. Die Friseuse war auch nicht billig, dafür sieht die Fünfjährige aus wie eine Barbie-Puppe. Einen blauen Fleck auf der Stirn hat man ihr mit viel Make-up zugeschmiert. Das Mädchen tritt in einer Kategorie an, die sich "Glitz" nennt. Glitz wie Glitzern.

Seit vier Jahren schon betreiben Ken Biryla und seine Frau Debbie die "Miss East Coast"-Show als Familiengeschäft. Ähnliche Shows gibt es wie Sand am Meer, die Branche hat Hochkonjunktur. "Die Girls lernen, sich darzustellen, die Scheu abzulegen. Sie tanken Selbstsicherheit", sagt der korpulente Ken, der früher einmal Gewerkschaftsfunktionär war.

Vielleicht ist dies das Amerikanischste am Ganzen, das Üben für die Show, die das Leben oft zu werden verspricht. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 24./25.3. 2007)