Hans Putzer, "Essen macht Politik"

Foto: Heribert Corn

Martina Wilmann, Restaurant Limes, Wien

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Peter Kubelka (Hg.): Nicht mehr als sechs Schüsseln!, Czernin 2006, € 27; Hans Putzer: Essen ist Politik, Leykam 2006, € 19,80

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Der Handel mit biologischen Lebensmitteln boomt. Organisationen wie Fairtrade, die unabhängig von den Weltmarktpreisen faire Bedingungen für Plantagenarbeiter in der Dritten Welt garantieren, erleben enormen Aufschwung. Was vor wenigen Jahren noch in Kleingeschäften gehandelt wurde, ist heute Big Business. Längst haben selbst traditionelle Marken wie Meinl Kaffee, Rauch Säfte oder Wiener Zucker fair gehandelte Waren im Programm. Gleichzeitig jagen Schreckensszenarien durch die Nachrichten: Die Verdauungsgase von Milch- und Fleischrindern sollen die Atmosphäre ähnlich belasten wie der Autoverkehr; die Versorgung Europas mit Obst und Gemüse aus Andalusien werde mit der Verwüstung Südspaniens und der Ausbeutung illegaler Arbeitskräfte aus Afrika bezahlt; Fischzucht schädige das Meer ebenso wie Wildfang; würde China pro Kopf so viel Fisch aus dem Meer entnehmen, wie Japan, wären die Ozeane binnen eines Jahres tot. Solche Nachrichten verunsichern. Wir baten drei Zeitgenossen, die allem Essbaren mit geschärften Sinnen begegnen, zu einem Gespräch über anständiges Essen: die ausgezeichnete Köchin Martina Willmann (Restaurant Limes, Wien), den Avantgarde-Filmer und emeritierten Professor für Film und Kochen, Peter Kubelka, der mit "Nie mehr als sechs Schüsseln" von F.G. Zenker soeben eines der "wichtigsten Bücher über das Kochen" neu herausgebracht hat und den Autor Hans Putzer, der mit "Essen macht Politik" ein aktuelles Buch zum Thema vorgelegt hat.

Der Standard: Was sind gute Lebensmittel?

Martina Willmann: Für mich sind das Sachen, die natürlich gewachsen sind und nicht mit Chemie behandelt wurden. Das schließt Fleisch aus Massentierhaltung aus, Fisch und Garnelen aus südostasiatischen Farmen, aber auch wunderschön hochgespritztes Gemüse. Lieber einen verwuzelten, krummen Paprika aus dem Garten, der schmeckt, als einen leuchtend roten, dicken und fetten aus Holland. Der schaut zwar ganz toll aus, schmeckt aber nach gar nichts.

Hans Putzer: Damit gehe ich völlig d'accord. Es gibt aber eine zweite Dimension, die gesellschaftlich und ökologisch relevant ist: Welchen Bedingungen waren etwa die Arbeiter ausgeliefert, die, nur als Beispiel, den Kakao für mein Schoko-Ei geerntet haben? Waren das, wie in der Mehrzahl der Plantagen, auch Kinder? Da schmeckt mir ein genusstechnisch vielleicht hervorragendes Produkt plötzlich gar nicht mehr gut. Wir müssen zwischen der gastronomischen Qualität und der Politik, die dahintersteckt, unterscheiden. Nehmen wir etwa Fleisch, das ich jedem von Herzen gönne: Könnte die gesamte Weltbevölkerung sich so viel Fleisch leisten, wie wir es in Europa tun - es gäbe nicht genug Flächen für die Futtermittelproduktion, es würde sich schlicht nicht ausgehen. Deshalb hat unser Glück und unser Reichtum immer mit der Traurigkeit anderer zu tun.

Peter Kubelka: Ich habe mit der Frage an sich ein Problem: Was ist gut? Als gut empfindet jeder etwas anderes, das ist kulturell definiert. Einem Österreicher wird eine vietnamesische Blutsuppe kaum schmecken. Dem US-Amerikaner verursacht der Anblick einer Selchzunge Brechreiz. Es gibt noch einen zweiten Punkt: Wenn unser Essen und seine Rohstoffe heute meistens grauslich sind - und so möchte ich das sehen -, dann ist das eine Folge der Evolution, der allgemeinen Entwicklung. Jetzt stellt sich Frage: Können wir das überhaupt steuern, indem wir uns politisch korrekt verhalten, das und jenes nicht mehr kaufen? Wie geht es denn weiter, wenn wir von heute auf morgen sagen: Weg mit den Großkonzernen, weg mit Nestlé, Danone und den anderen, die grausliche Sachen produzieren? Wir wären doch nicht in der Lage, den Status quo von heute auf morgen zu ändern und uns nur von biologischen und politisch korrekten Nahrungsmitteln zu ernähren! Davon abgesehen ist es ja ein Luxus, dass wir uns solche Fragen überhaupt stellen können. Die Mehrheit der Weltbevölkerung würde uns fragen, ob wir tatsächlich keine anderen Sorgen haben.

Der Standard: Für karibische Bananenbauern ist es doch wichtig, wenn etwa der Handelsriese Sainsbury's nur Fairtrade-Bananen verkauft - da hat der Konsument durchaus Macht. Deshalb die Frage: Wo kauft man solche guten Produkte, was kaufen Sie ein?

Martina Willmann: Ich kauf auf Märkten, in Reform- und Biogeschäften ein, aber schauen Sie mich an: Weniger ist mehr (lacht). Was mir nicht ins Haus kommt, sind Fertig- oder Halbfertigprodukte, maximal Tomatenmark. Im Restaurant muss ich ganz klar zwischen Mittagstellern, die sehr günstig sein müssen, und anderen Speisen, auf deren Qualität ich ganz streng achten kann, unterscheiden. Während wir sonst nur langsam gewachsene Freilandhühner verarbeiten, geht sich das bei einem Mittagessen um ein paar Euro einfach nicht aus. Da muss ich Abstriche machen - Qualität gibt's nicht geschenkt.

Der Standard: Wie schaut's mit Fisch aus?

Martina Willmann: Da versuche ich, den Waldviertler Karpfen zu pushen. Viele wilde Fische sind einfach schon zu selten, um sie guten Gewissens anzubieten. Dazu wird mit dem "Wildfang"-Label viel Humbug getrieben. Deshalb bin ich für gut gezüchtete Fische wie Wolfsbarsch oder Steinbutt.

Der Standard: Obwohl die mit Fischmehl gefüttert werden, für das schmackhafte und besonders wertvolle Arten wie Sardinen oder Hering zigtonnenweise weggefangen werden?

Martina Willmann: Aber auch mit Fischabfällen, Karkassen und Beifang, der ansonsten als wertlos zurückgeworfen würde.

Hans Putzer: Frau Willmanns Ablehnung von Fertigprodukten ist mir wichtig: Genau da wird das minderwertige Essen reingepackt, dem wir sonst aus dem Weg gehen. So sind etwa alle Bio- und Freiland-Eier ein Witz gegen die Masse an Käfig-Eiern, die wir in Fertigprodukten, Backwaren und in Wirtshäusern zu uns nehmen, da geht es um Millionen-Stückzahlen!

Peter Kubelka: Ich kauf überall ein, beim Meinl, weil's dort noch fetten Göderl-Speck gibt, am Naschmarkt, aber auch beim Merkur in Mistelbach. Die haben nämlich spezielle Sachen für Tschechen, die da einkaufen - Schwarteln, Kutteln, Sauhaxeln. Die sind so rückständig, dass sie so was noch kochen - wie ich auch. Deswegen fahr ich da hin. Ich sehe mich als Student der Speisenbereitung und nicht als Politiker. Mein Rezept zu diesem Problem ist, das man selber Speisen zubereitet, selber täglich kocht. Die Praxis und nicht die Diskussion wird der Weg sein, um die Probleme unserer Nahrung direkt zu verstehen und zu lösen.

Hans Putzer: Ich finde auch, dass man Supermärkte nicht a priori verteufeln sollte. Ich kauf da durchaus ein - aber mit einem Bewusstsein für das, was ich auswähle: Eine italienische Kiwi, die per Lkw kommt, hat eine viel bessere Ökobilanz als eine neuseeländische.

Der Standard: Gibt es Delikatessen, für die Sie schlechtes Gewissen in Kauf nehmen?

Martina Willmann: Puuh, da fällt mir wenig ein, ich hab' eher schlechtes Gewissen, wenn ich ein Billig-Hendl verbrate. Kaviar vermeide ich seit Jahren, und bei Gansleber achte ich darauf, dass sie von Qualitätsproduzenten stammt. Dann hat die Gans nämlich mit Sicherheit ein schöneres Leben gehabt als das Hendl aus dem Supermarkt.

Hans Putzer: Seit ich für mein Buch recherchiert habe, schaue ich, dass schlechtes Gewissen gar nicht aufkommen kann: keine andalusischen Tomaten, Äpfel aus dem Umland, Schokolade nur mit Fairtrade-Logo...

Peter Kubelka: Man müsste ein schlechtes Gewissen haben, überhaupt als Menschentier geboren zu sein. Ich koste alles, was irgendeine Esskultur hervorgebracht hat, auch Fast Food - und wenn's noch so grauslich ist, aus weltanschaulichem Interesse. Was ich aber nicht aushalte, ist Respektlosigkeit vor anderen Tieren. Was wir töten, das müssen wir auch aufessen, und zwar komplett, von Kopf bis Fuß, mit Nieren, Leber, Hirn und Milz. So hat das meine Großmutter gemacht, so habe ich das in Afrika erlebt. Im Westen geht dieser Respekt verloren. Das bedrückt mich. (Das Gespräch führte Severin Corti/Der Standard/Rondo/23/03/2007)