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Juristen und Interessensvertreter sind sich uneins, ob Österreich ein neues Schadenersatzrecht braucht.

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Es geht um unterschiedliche Rechtsphilosophien und um persönliche Eitelkeiten. Aber in der Debatte um die Reform des Schadenersatzrechts, der seit Monaten zwischen führenden Rechtsexperten tobt, ist auch von eminentem Interesse für alle Unternehmer und jeden Bürger, der sich irgendwann geschädigt fühlt. Selbst der Wirtschaftsstandort ist betroffen: Die oft absurd hohen Schadenersatzurteile in den USA verursachen dort hohe Kosten und belasten Amerikas Wirtschaft und Gesellschaft.

Reform-Bestrebungen seit 2001

Zur Vorgeschichte: 2001 trat eine Arbeitsgruppe unter der Führung des emeritierten Zivilrechtprofessors Heinz Koziol zusammen, um die den Schadenersatz berührenden Paragrafen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) zu reformieren. Ihr Entwurf, den sie im Juni 2005 vorlegten, war besonders ehrgeizig und löste sofort eine heftige Kontroverse aus. Eine andere Juristengruppe rund um Rudolf Welser und Rudolf Raschauer werfen Koziol vor, vor allem Rechtsideologie zu verfolgen und damit die Berechenbarkeit der Rechtsprechung zu untergraben.

Die entscheidende Frage ist, ob im Gesetz die einzelnen Schadensfälle konkret aufgelistet werden – auf die Gefahr hinaus, dass die Bestimmungen in einigen Jahren überholt sind – oder ob das Gesetz bloß prinzipielle Vorgaben macht, die dann von Richtern an den jeweiligen Einzelfall angepasst werden. Koziol hat sich für die zweite Variante entschieden und in seinem Entwurf immer wieder auf die Abwägung verschiedener Interessen verwiesen.

"Koziols Definition lautet: Schaden liegt dann vor, wenn die Interessen anderer gestört sind", sagt Harald Bisanz, Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer. "Damit wird dem Richter sehr viel Spielraum gegeben." Ohne genaue gesetzliche Vorgaben würde der einzelne nicht wissen, welche Konsequenzen sein Verhalten hat.

Recht durch die Richter

Amerikaner und Briten kennen dieses Problem vom Umgang mit dem angelsächsischen "Case Law". Kritiker werfen Koziol vor, genau in diese Richtung zu gehen und den soliden Boden der kodifizierten Gesetze in der kontinental-europäischen Rechtstradition zu verlassen. Doch genau die ist im Schadenersatzrecht bereits eingetreten. Da das 200 Jahre alte ABGB der modernen Lebensrealität – mit ihren Produkten, Verkehrsmittel, Umweltgefährdungen und dem Ruf nach Schmerzensgeld – immer weniger gerecht wurde, mussten die Gerichte und vor allem der Oberste Gerichtshof die Rolle des Gesetzgebers übernehmen und neues Recht schaffen. "Etliche Fälle, vor allem bei Mitverschuldenfragen, können nur mehr per Judikatur der Höchstgerichte gelöst werden, das Schadenersatzrecht ist teilweise bereits zum Case Law geworden", sagt Bisanz. Der Vorwurf des Richterstaates, den Welser & Co Koziol vorwerfen, sei manchen Bereichen bereits Wirklichkeit geworden.

Manche Juristen haben damit kein Problem, denn das flexible Case Law entspricht eher den Anforderungen der heutigen Zeit mit ihren ständigen Veränderungen. In den Niederlanden wurde nach jahrelanger Debatte die Kodifikation der Zivilgesetze deutlich zurückgenommen und den Gerichten mehr Spielraum gegeben, berichtet SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim, der vor kurzem eine prominent besetzte parlamentarische Enquete zum Thema Schadenersatzrecht abgehalten hat. Aber Jarolim verweist auch auf die "Verfassungsfrage der Gewaltentrennung. Es ist besser, wenn eine Regelung im Gesetz steht. Allerdings braucht das Gericht im Schadenersatz genügend Spielräume, um auf Sonderfälle zu reagieren."

20 Jahre Rechtsunsicherheit

Koziol hat diese Spielräume sehr weit gefasst und dabei letztlich den Status quo der Rechtsprechung abgebildet, sagt Georg Kodek, Richter am Obersten Gerichtshof: "Er hat die bestehenden Grundsätze gut zusammengefasst und dabei gezeigt, was für Kriterien für Entscheidungen eine Rolle spielen und wie schwierig so manche einfache Frage ist. Wenn wir diesen Entwurf umsetzen, dann haben wir zehn bis 20 Jahre Rechtsunsicherheit, bis die Gerichte auf Grundlage des neuen Rechts Entscheidungen gefällt haben. Langfristig gebe es allerdings einen Gewinn an Bestimmtheit."

Diese drohende Phase der Rechtsunsicherheit ist eines der Hauptargumente der Koziol-Kritiker. Doch da ein Schadenersatzrecht, das jeden möglichen Tatbestand im vornhinein definiert, praktisch unmöglich ist, wäre die logische Folge dieser Position, auf eine umfassende Reform überhaupt zu verzichten und mit dem bestehenden ABGB weiterzuwursteln.

Tatsächlich sind sich Juristen und Interessensvertreter uneins, ob Österreich ein neues Schadenersatzrecht braucht. Der Zivilrechtler Kodek sieht vor allem einen "Gewinn für die Rechtsästhetik", wenn die vielen verteilten Bestimmungen des ABGB in einem kohärenten Kodex zusammengefasst werden. Bisanz ist hier bestimmter: "Ein neues Recht wird von der Praxis gefordert. Wir leben in einer schadensgeneigten Zeit, in der die Gefahren des täglichen Lebens eine wachsende Rolle im Bewusstsein der Bevölkerung spielt."

Anstelle eines großen Wurfs wünscht sich Bisanz eine "Verbesserung in kleinen Schritten im ständigen Kontakt mit der Praxis". Dabei müsse man auch die Debatte in anderen europäischen Ländern genau beobachten, damit Österreich durch ein zu strenges Recht keinen wirtschaftlichen Nachteil erleidet, fordert er.

Problem Gehilfenhaftung

Einigkeit besteht unter den meisten Experten, dass die so genannte Gehilfenhaftung reformiert gehört. Derzeit kann ein Unternehmer nur schwer belangt werden, wenn einer seiner Gehilfen einen Dritten schädigt, zu dem kein Vertragsverhältnis besteht – also etwa, wenn ein schlecht montiertes Geschäftsschild beim Herunterfallen einen Passanten trifft. Abgeschafft gehört auch die Unterscheidung zwischen direktem Schaden und einem entgangenem Gewinn, und eine Klärung des Sorgfaltmaßstabs – also des Unterschieds zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit.

Jarolim wünscht sich auch eine Anhebung der Grenzen für Schmerzensgeld vor allem bei Schwerstverletzungen. "Ein junger Mann, der durch das Verschulden eines anderen vom Hals herunter querschnittsgelähmt ist, erhält 200.000 Euro. Die deutschen Sätze sind drei mal so hoch", sagt er.

In der ÖVP wird noch diskutiert, die Industriellenvereinigung aber steht einer Reform grundsätzlich skeptisch gegenüber –vor allem den Vorschlägen zur Ausweitung der Unternehmerhaftung. "Da gibt es viele Pferdefüße", sagt der IV-Rechtsexperte Stefan Mara. "Man versucht, einen allgemeinen Sorgfaltsmaßstab für Standardunternehmern aufzustellen, aber die Wirtschaft lebt vom Unterschied. Das ist praxisfern." Im Falle einer umfassenden Reform "wären wir in zehn Jahren dort, wo wir heute sind: eine unklare Gesetzeslage und sehr viel Judikatur", warnt Mara. Jede Verschärfung des Schadenersatzrechts würde zu höheren Versicherungsprämien führen, die sich in Preissteigerungen niederschlagen würden, warnen andere Kritiker.

Nicht im Gespräch ist die Einführung des Strafschadens, der in den USA die Schadenersatzzahlungen in die Höhe treibt. Schließlich will jeder "amerikanische Verhältnisse" vermeiden. Zu Unrecht, glaubt Franz J. Heidinger, Rechtsanwalt bei Alix Frank und ein guter Kenner der US-Justiz. "Ein Strafschaden bis zur doppelten Höhe würde viele Unternehmen zu mehr Vorsicht anregen", sagt er. "Manche Unternehmen verzichten auf teure Schutzmaßnahmen und nehmen lieber das Risiko einer Klage in Kauf. Ein solches sozial verwerfliches Verhalten bleibt bei uns, anders als in den USA, weitgehend ungeahndet." Verbunden mit einer Entkriminalisierung des fahrlässigen Verhaltens wäre ein Strafschaden eine sinnvolle Reform, glaubt Heidinger.

Gruppenklagen kommen

Heidinger ist auch ein Verfechter für die Einführung von Gruppenklagen, die den amerikanischen Sammelklagen ähneln. Hier ist der Gesetzwerdungsprozess schon viel weiter, eine Arbeitsgruppe soll in Kürze konkrete Vorschläge machen, die wohl noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden können.

Beim Schadenersatz wird es hingegen noch lange dauern. Zwar steht die Reform im Regierungsprogramm, aber erst soll die Gruppe um Welser/Raschauer eigene Vorschläge ausarbeiten und mit den Kammern und anderen Interessenvertretungen besprechen. Mit weiteren Kontroversen ist zu rechnen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.3.2007)