Ernest Groman: "Die Gewichtszunahme als Folge der Raucherentwöhnung wird generell übertrieben. Nur wenige nehmen mehr als zwei Kilo zu."

Foto: STANDARD/Hendrich

Manfred Neuberger: "Raucher davon abzubringen, sich selbst umzubringen, fällt nicht in den Aufgabenbereich des Staates. Aber als Arzt habe ich diese Pflicht."

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Der gesellschaftliche Druck auf Raucher steigt. Sabina Auckenthaler fragte den Sozialmediziner Ernest Groman und den Internisten Manfred Neuberger - beide in Nichtraucherkampagnen involviert - um Strategien, Zigaretten abschwören zu können. STANDARD: Zigaretten sind schädlich. Warum Rauchen wir trotzdem?

Neuberger: Weil Nikotin süchtig macht und der Körper sich schnell darauf einstellt. Was genau passiert, ist, dass Nikotin Rezeptoren im Gehirn besetzt, die eigentlich für Botenstoffe gedacht sind. Schon bald gewöhnt sich das Gehirn dann bei der Übertragung der Botenstoffe an Nikotin. Das macht einen Teil der Probleme beim Entzug aus. Durch das fehlende Nikotin funktioniert die Übertragung der Botenstoffe nicht mehr richtig.

Es kommt zu Konzentrationsschwierigkeiten, depressiven Verstimmungen und Gereiztheit. Diese Entzugserscheinungen verschwinden nach einigen Tagen, weil dann die Übertragung wieder besser funktioniert. Wenn das Rauchen nicht zu bleibenden Schäden an der Hirndurchblutung geführt hat, normalisiert sich die Hirnleistung wieder. Längsschnittstudien zeigen, dass nicht nur die Lungenfunktion, sondern auch die Leistungen des Gehirns durch das Rauchen beeinträchtigt sind.

STANDARD: Demnach kann es auch keine Genuss- oder Gelegenheitsraucher geben?

Neuberger: Den Genussraucher gibt es, er ist aber sehr selten. Die meisten Raucher haben einen gewissen Grad der Abhängigkeit. Das reicht von schwerer Sucht - das ist dann, wenn jemand innerhalb der ersten fünf Minuten nach dem Aufstehen bereits eine Zigarette braucht - bis hin zu leichten Entzugserscheinungen, wenn über längere Zeit kein Nikotin konsumiert wird. Vor Kurzem wurde eine norwegische Studie veröffentlich, die eindeutig zeigt, dass bereits der Konsum von einer bis vier Zigaretten pro Tag das Herzinfarkt- und Lungenkrebsrisiko etwa um das Dreifache steigert.

Groman: Viele Menschen behaupten, sie seien Gelegenheitsraucher. In Wirklichkeit ist das eine kleine Minderheit, außer man versteht darunter jemanden, der bei jeder Gelegenheit raucht. In Bezug auf jene, die nur sehr wenig rauchen, ist zu ergänzen, dass die Gefahr für Nichtraucher an Lungenkrebs zu erkranken, gegen null geht. Eine Verdreifachung des Risikos ist also schnell erreicht. Unterschätzen sollte man dieses Risiko trotzdem nicht.

Neuberger: Vor allem aber gefährden Raucher andere, weil sie sie zu Passivrauchern machen.

STANDARD: Also ist gesellschaftlicher Druck gegen Raucher sinnvoll?

Neuberger: Natürlich. Zum Glück setzt sich dieses Bewusstsein jetzt in Europa durch, wobei wir in Österreich zu den absoluten Schlusslichtern zählen. Raucher davon abzubringen, sich selbst umzubringen, fällt dagegen nicht in den Aufgabenbereich des Staates. Aber als Arzt habe ich die Pflicht, den Raucher zu motivieren, mit dem Nikotinkonsum aufzuhören.

Groman: Als das Rauchverbot am Arbeitsplatz eingeführt wurde, war ich zunächst skeptisch. Ich dachte, ein Verbot wäre kontraproduktiv. Inzwischen hat sich aber gezeigt, dass dadurch die Bereitschaft der Firmen, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen, gestiegen ist. So buchen heute mehr Firmen Raucherentwöhnungsseminare für ihre Mitarbeiter. Das Verbot hat ein Umdenken bewirkt.

Und selbst viele Raucher wissen es heute zu schätzen, wenn sie am Arbeitsplatz nicht ständig eingenebelt werden und zum Rauchen animiert werden, nur weil der Kollege gegenüber sich gerade wieder eine anzündet. Ebenso wissen wir aus anderen Ländern, dass die Akzeptanz des Rauchverbots in der Gastronomie nach Einführung der Verbote auch bei Rauchern gestiegen ist.

STANDARD: Raucher gegen Nichtraucher, ist das eine neue gesellschaftliche Front?

Groman: Leider wird das Thema in der Bevölkerung teilweise so aufgenommen, denn oft ist eine Polarisierung ja gerade auch gewollt. Für uns ist es nicht immer einfach zu vermitteln, dass Nichtraucher-programme nicht als Maßnahmen gegen, sondern für Raucher gedacht sind. Mit dem Rauchen aufzuhören ist das Beste, was man für die eigene Gesundheit tun kann.

Neuberger: Die Initiative "Ärzte gegen Raucherschäden" wurde ursprünglich für Raucher gegründet. Primär wollen wir helfen, vom Rauchen loszukommen. Dass wir auch Nichtraucher vor den gesundheitlichen Schäden des Passivrauchens schützen wollen, macht uns ja nicht automatisch zu militanten Raucherhassern.

STANDARD: Sprechen wir über Prävention. Was begünstigt Raucherkarrieren?

Groman: Rauchen in der Schwangerschaft ist besonders schädlich. Denn das Nikotin findet den Weg in das Gehirn des ungeborenen Kindes. Man nimmt heute an, dass dadurch später leichter eine Zigarettenabhängigkeit entsteht, weil das Gehirn bereits auf Nikotin sensibilisiert ist. Zudem wächst das Kind dann meist in einer Umgebung auf, in der Rauchen als normal gilt. Wenn dann vielleicht auch noch andere Bezugspersonen wie zum Beispiel Lehrer rauchen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn Jugendliche zu rauchen beginnen.

Neuberger: Die Tabakindustrie tut ja alles, um immer wieder neue Kunden zu gewinnen. Dabei wird die Zielgruppe immer jünger und die Strategien gefinkelter. Um den Einstieg ins Rauchen möglichst einfach zu machen, werden längst Zigaretten mit Geschmacksstoffen wie etwa Vanille angeboten, die den rauen, bitteren Geschmack übertünchen.

Durch Menthol wird ein tieferes Inhalieren gefördert, und das wiederum führt schneller in die Abhängigkeit. Es gibt eine interessante Studie, die den Einfluss von rauchenden Filmhelden belegt. Sehr erfolgreich aus Sicht der Tabakindustrie waren "schlanke Zigaretten": Das Bild der schlanken, emanzipierten Frau mit Zigarette zieht vor allem bei jungen Frauen, zumal ja oft behauptet wird, Rauchen wirke als Schlankmacher.

STANDARD: Wer mit dem Rauchen aufhört, nimmt zu, berichten doch aber viele.

Neuberger: Studien zeigen, dass Rauchen kein Schlankmacher ist. Wer als Teenager zu rauchen beginnt, neigt später mehr zu Bauchfett, und das wiederum fördert Herz-Kreislauf-Krankheiten. Das hängt vermutlich mit einer durch Rauchen verursachten Stoffwechselstörung zusammen. Es stimmt einfach nicht, dass man, wenn man zu rauchen aufhört, automatisch zunimmt.

Nur wer seinen Drang nach der Zigarette mit einer Unmenge an Süßigkeiten kompensiert, wird viel zunehmen. Durch eine gute Beratung lässt sich dies vermeiden. Es geht darum, gemeinsam nach alternativen Kompensationsformen zu suchen. Eine geringe Gewichtszunahme ist ja unproblematisch. Sie ist - im Gegensatz zum Rauchen - nicht gesundheitsschädigend und leicht in den Griff zu bekommen.

Groman: Die Gewichtszunahme als Folge einer Raucherentwöhnung wird generell übertrieben. Wenn jemand mit 48 Jahren aufhört zu rauchen, muss er mit einer Zunahme von etwa zwei Kilo rechnen. Nur wenige nehmen viel zu, einige Menschen nehmen sogar ab. Es ärgert mich, wenn in den Medien dann immer genau jene Menschen gezeigt werden, die extrem zugenommen haben. Nach dem Motto: Seht, das passiert, wenn ihr mit dem Rauchen aufhört.

STANDARD: Was also ist eine gute Strategie, mit dem Rauchen aufzuhören?

Neuberger: Alle, die noch nie den Versuch unternommen haben, mit dem Rauchen aufzuhören, können es ruhig einmal alleine versuchen. Dann ist die Punkt-Schluss Methode am besten. Dabei nimmt man sich vor, an einem bestimm-ten Tag aufzuhören, auf www.aerzteinitiative.at gibt es eine Anleitung. Wer in den ersten Tagen Unterstützung braucht, kann das Rauchertelefon anrufen. Dort geben Experten und Expertinnen Ratschläge, rufen auf Wunsch auch an den Folgetagen an und begleiten den Entzug.

STANDARD: Und schwere Fälle?

Neuberger: Wer mehrere erfolglose Versuche hinter sich hat, sollte ärztliche Hilfe beanspruchen. Es gibt für Ärzte eine spezielle Ausbildung in Rauchertherapie. Auch Rauchercamps und Seminare in Betrieben sind, so wie die Raucherberatungsstellen der Gebietskrankenkassen, sehr empfehlenswert.

Groman: Die persönliche Entschlossenheit ist die wichtigste Voraussetzung. Programme wirken für viele unterstützend, weil sie das Gefühl einer Verbindlichkeit vermitteln. Aber auch der Support von Familie und Freunden ist ganz entscheidend.

STANDARD: Helfen denn Medikamente?

Groman: Nikotinersatztherapie verdoppelt bis verdreifacht die Erfolgsaussichten, sagen Dutzende Studien, und sind vor allem am Beginn einer Entwöhnung sinnvoll. Bei Verwendung von Nikotinersatz erspart man sich mindestens 5000 Inhaltsstoffe, darunter mindestens 30 Krebs erregende Substanzen, die im Zigarettenrauch enthalten sind.

Neuberger: Nur in Fällen sehr starker Abhängigkeit sind Medikamente sinnvoll. Schwangere und Jugendliche sollen kein Nikotin verwenden. Wer Nikotinersatz verwendet, darf auch nicht rauchen. Moderne Medikamente greifen direkt im Gehirn gezielter an. Allerdings kann kein Medikament der Welt den Willen und die Motivation, mit dem Rauchen aufhören zu wollen, ersetzen. (Sabina Auckenthaler/MEDSTANDARD/19.03.2007)