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Österreich wisse zumindest seit 1995, dass es Probleme beim Universitätszugang geben könnte. Kritik, der zufolge die EU-Kommission "Probleme schaffe, statt sie zu lösen", wie sie in diesem Zusammenhang Österreichs Bundeskanzler Alfred Gusenbauer geäußert hat, sei "unfair", sagte der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, im Gespräch mit dem STANDARD.

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"Manche Bürger halten die Verfassung für eine Ausweitung der Kompetenzen der Institutionen. Aber genau das Gegenteil ist der Fall."

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Barroso sieht keine Alternative zu einer neuen Verfassung für die Europäische Union.

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"Das Prinzip der Nichtdiskriminierung ist nicht verhandelbar. Zu sagen, dass die EU-Kommission jetzt Probleme schafft, ist sehr unfair."

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Mit der "Berliner Erklärung" kommt die Diskussion über eine EU-Verfassung und die Zukunft der Union in die heiße Phase. Darüber und über die Uni-Quoten sprachen Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Michael Moravec.

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STANDARD: Am nächsten Sonntag wird die "Berliner Erklärung" feierlich veröffentlicht. Sie ist der nächste Schritt zu einer gemeinsamen Verfassung. Was soll der Text aus Sicht der Kommission enthalten? Wie werden die Konflikte "institutionelle Reformen" und "Erweiterung" behandelt?

Barroso: Die Erklärung soll uns vereinen, nicht trennen. Es ist ein feierlicher Anlass, und die Erklärung sollte sagen, warum wir auf unsere Vergangenheit stolz sein können und zuversichtlich in die Zukunft sehen. Die Erklärung ist kein Regierungsprogramm oder eine Absichtserklärung, sondern ein politisches Statement, das uns inspirieren soll - und auch ein Signal der Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft sein kann. Was mir besonders wichtig ist: die Handlungsfähigkeit der Institutionen. Eine Erklärung der Regierungschefs, dass die Union starke, effektive, demokratische Institutionen braucht, um ihre Ziele zu erreichen. Ich rate den Autoren der Erklärung, nicht zu sehr in Details zu gehen, sondern unsere Werte und Ziele zu beschreiben und zu sagen, warum wir heute ein geeintes Europa dringender brauchen als je zuvor. Als Präsident der EU-Kommission habe ich den Wunsch zu erfahren, wie die Mitgliedsstaaten zu den Institutionen stehen. Und wir brauchen starke Institutionen, um unsere Werte zu verteidigen.

STANDARD: Es ist noch ungeklärt, ob die Erklärung - wie ursprünglich geplant - von allen 27 Staats- und Regierungschefs unterzeichnet wird oder ob sie nur von Deutschland als Vorsitzland signiert wird, da einige Staaten wie Großbritannien oder die Tschechische Republik in einigen Punkten, etwa im Sozialbereich, Vorbehalte haben. Wie sehen Sie das?

Barroso: Ob nun nur die Präsidenten des Parlaments, des Rates und der Kommission oder alle Staats- und Regierungschefs unterzeichnen, ist eine Sache der Präsidentschaft. Wichtig ist, dass die Erklärung angenommen wird.

STANDARD: Was bedeutet es für den Verfassungsprozess, wenn die einzelnen Staaten nicht unterschreiben? Ist das nicht ein entmutigendes Signal, wenn sich die Mitglieder nicht einmal auf eine Geburtstagserklärung einigen können?

Barroso: Nein. Ich sagte, es ist wichtig, dass die Erklärung angenommen wird. Wenn einzelne Staaten nicht unterschreiben, ist das nicht gut, aber ich hoffe doch auf Zustimmung. Wie die Staaten das aber zeigen, ist deren Sache. Was mir wichtig ist: Dass die drei Institutionen Parlament, Rat und Kommission und natürlich die Mitgliedstaaten hinter dem Text stehen, denn es ist immerhin der 50. Geburtstag der Union.

STANDARD: Was sind die nächsten Schritte nach der "Berliner Erklärung"? Dem Vernehmen nach könnte eine Regierungskonferenz zur Verfassung bereits im Herbst - nach den Wahlen in Frankreich - unter portugiesischer Präsidentschaft stattfinden.

Barroso: Wir sollten jedenfalls den bestehenden Terminplan respektieren. Und der sagt, dass die Verfassungsfrage bis Ende 2008 gelöst sein muss, weil es 2009 Wahlen zum Europäischen Parlament gibt. Aber je früher es eine Lösung gibt, desto besser. Zum Ende der deutschen Präsidentschaft sollten wir einen klaren Fahrplan haben, Vorschläge darüber hinaus sind Sache des Vorsitzlandes.

STANDARD: Wird die Verfassung nun Verfassung heißen oder als "Vertrag von Paris" in die Reihe der Verträge von Maastricht und Nizza aufgenommen?

Barroso: Ich kann mit "Verfassung" sehr gut leben. Aber es gibt viele Vorschläge für einen neuen Namen, und ich habe zu diesem Zeitpunkt keine Präferenzen. Es Verfassung zu nennen war eine gute Idee. Manche Bürger in Europa haben es deswegen allerdings fälschlicherweise für eine zentrale Ausweitung der Kompetenz der Institutionen gehalten, aber genau das Gegenteil ist der Fall: Die Macht der Institutionen wird durch genaue und transparente Regeln beschrieben und damit auch begrenzt. Der Name ist nicht so wichtig, es kommt auf den Inhalt an.

STANDARD: Was machen Sie, wenn ein Land erneut die Verfassung ablehnt?

Barroso: Das liegt in der Verantwortung der einzelnen Staaten. Denn immerhin haben ja alle Regierungschefs die Verfassung unterzeichnet. Ich erwarte, dass von deren Seite alles getan wird, um ein neuerliches Scheitern zu verhindern, denn das wäre sicher sehr negativ.

STANDARD: Aber Tony Blair sagte zum Beispiel, dass er keine Verfassung akzeptieren werde, welche die Schaffung einer Sozialunion beinhalte.

Barroso: Blair hat die Verfassung unterzeichnet. Wenn Regierungschefs und Außenminister eine Erklärung unterzeichnen, ist das nicht nur so eine Unterschrift, sondern geht mit Verantwortung und Verpflichtung einher. Alle EU-Regierungen haben die strikte Verpflichtung, und ich betone: Verpflichtung, sehr konstruktiv am gesamten Verfassungsprozess teilzunehmen.

STANDARD: Ein Teil der Verfassung betrifft die Arbeit der Kommission. Diese soll - auch gemäß dem derzeit geltenden Vertrag von Nizza - kleiner werden. Nicht jedes Land hätte dann Anspruch auf einen Kommissar. Wie groß muss die Kommission sein, um ihre Aufgaben zu erfüllen?

Barroso: Wir werden mit den Mitgliedsländern, gestützt auf unsere Erfahrungen, in eine Debatte eintreten. Aber es ist nicht hilfreich, wenn ich mich jetzt in diese Diskussion einmische. Aber ich kann sagen: Die Kommission arbeitet auch in ihrer derzeitigen Zusammensetzung und liefert Ergebnisse. In der Frage der Institutionen ist die Frage der Stimmrechte im Rat viel wichtiger. Im Rat gibt es das Risiko der Paralyse, das Risiko von Verspätungen. Dazu kommt, dass die EU-Kommission ja in eine Richtung arbeitet: für das Wohl und das Funktionieren der Union, es gibt also viel weniger Meinungsverschiedenheiten als im Rat, wo naturgemäß ja das Interesse der einzelnen Mitgliedstaaten vertreten wird. Das ist der Hauptgrund, warum wir eine Verfassung benötigen oder zumindest etwas, das die Entscheidungsprozesse vereinfacht.

STANDARD: Treten Sie für neue Volksabstimmungen ein, oder würden Sie diese lieber vermeiden?

Barroso: Das ist Sache der einzelnen Staaten und auch der jeweiligen Rechtslagen. Ich habe aber die Pflicht zu sagen, dass wir eine neue Verfassung brauchen, wenn die EU funktionsfähig bleiben soll.

STANDARD: Könnte es einen Verfassungszusatz geben, der die soziale Dimension der EU abdeckt und der nicht von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet werden muss? Das könnte zum Beispiel die Zustimmung Großbritanniens bringen, würde aber im Sozialbereich eine EU der zwei Geschwindigkeiten bedeuten, wie es sie schon beim Euro und bei Schengen gibt.

Barroso: Die Kommission ist per Definition dazu angehalten, umfassende und alle Mitglieder einschließende Lösungen zu unterstützen. Und ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten sollte nicht die Lösung aller unserer Probleme sein. Das stünde den eigentlichen Zielen der Union je diametral entgegen. Aber wir müssen auch pragmatisch sein, und es gibt ja schon unterschiedliche Integrationsebenen. Wir sind offen für pragmatische Lösungen wie die genannte, wollen dies aber nicht als Modell für alle Problemfelder sehen.

STANDARD: Die EU genießt bei den Bürgern nicht gerade das beste Ansehen. Sie gilt als zu unsozial, kalt, wirtschaftslastig und bürokratisch. Andererseits besitzen Sie im Sozialbereich keinerlei Kompetenzen. Würden Sie das gerne ändern?

Barroso: Die EU-Kommission hat Kernkompetenzen wie den Binnenmarkt. Dieser würde ohne Kommission nicht existieren, da die einzelnen Länder ja nur nationale Interessen vertreten. Wir als Kommission sind den europäischen Werten verpflichtet, das habe ich immer gesagt. Die soziale Marktwirtschaft ist ein europäisches Modell, das wir unterstützen. Aber wir akzeptieren, dass es auch Länder mit anderen Auffassungen gibt. Aber unsere "Doktrin" ist die soziale Marktwirtschaft. Das ist europäische Tradition. Und das sollte so bleiben. Aber ich habe noch keinen Politiker gesehen, der Pensions- oder Gesundheitssysteme oder das Unterrichtssystem nach Brüssel auslagern will, und ich frage nicht nach mehr Kompetenzen. Aber ich verlange, dass man uns dann auch nicht für Probleme in diesen Bereichen verantwortlich macht. Aber es gibt oft einen Mangel an Ehrlichkeit in den Mitgliedstaaten, die Brüssel für alles verantwortlich machen wollen, was ihnen unangenehm ist.

STANDARD: Österreichs Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hat die EU-Kommission für die Probleme bei Zugang zum Medizinstudium in Österreich verantwortlich gemacht. Er sagte, die EU-Kommission sollte Probleme lösen und keine neuen schaffen und sich nicht in Angelegenheiten einmischen, die sie nichts anginge.

Barroso: Ich hatte in Österreich ein sehr gutes Gespräch mit Kanzler Gusenbauer. Ich konnte klarstellen, dass wir für die Einhaltung der Verträge verantwortlich sind. Und das Prinzip der Nichtdiskriminierung ist nicht verhandelbar. Jeder EU-Bürger soll in der ganzen EU so behandelt werden wie die Staatsbürger des Landes. Das kann und darf nicht infrage gestellt werden. Wir verstehen aber die möglichen Auswirkungen des Problems auf das österreichische Unterrichts- und Gesundheitswesen. Wir versuchen eine Lösung zu erarbeiten, die mit EU-Recht vereinbar ist und die Bedürfnisse Österreichs erfüllt. Uns zu beschuldigen, das ist einfach nicht fair. Denn Österreich hat mit dem Beitrittsvertrag auch diese Bestimmungen übernommen. Ich erinnere mich gut, denn ich war zu der Zeit Außenminister. Österreich weiß zumindest seit 1995, dass dieses Prinzip gilt. Zu sagen, dass die Kommission jetzt Probleme schafft, ist sehr unfair. (DER STANDARD, Printausgabe 19.3.2007)