Wer fliegt, sieht nichts. Wo die Staaten enden und die Vorposten des nächsten Imperiums auftauchen, erfährt man nur auf dem Landweg. Nach Posof zum Beispiel, einem Grenzstädtchen im Pontischen Gebirge, zwei Stunden Busfahrt von Kars entfernt, im Osten der Türkei, und noch einmal eineinhalb Tage mit dem Zug von Istanbul.

Der Graben zwischen dem Nato-Staat Türkei und der Sowjetunion, zwischen Osmanen und Zaristen verlief hier, und zugeschüttet wird er jetzt erst durch ein Eisenbahnprojekt, dessen Bedeutung weit über die gottverlassene Gegend von Posof hinausreicht und den Kaukasus, Zentralasien und China an Westeuropa anbinden wird.

In Posof, einem der drei Grenzübergänge der Türkei nach Georgien, geht derweil alles seinen gemächlichen Gang. Ein türkischer Obst-Importeur schimpft über die Unzuverlässigkeit seiner georgischen Partner, ein einziger Lastwagen beschäftigt die Zöllner, ein Taxifahrer wartet auf der anderen Seite auf Kundschaft. Die fährt er für eine Fantasiesumme nach Akhaltsikhe, der Hauptstadt der Provinz Samtskhe-Javakheti in Georgien, einer ärmlichen, mehrheitlich von Armeniern bewohnten Region.

Ihnen soll der Bau der KATB, der Linie Kars–Akhalkalaki–Tiflis–Baku, Arbeitsplätze verschaffen und den Verlust der russischen Militärbasis in Akhalkalaki ausgleichen, von der ein Teil der armenischen Familien bisher lebte. 220 Millionen Dollar investiert Georgien in das Bahnprojekt, vorgestreckt vom aserbaidschanischen Staat zu günstigen Konditionen – ein Prozent Zinsen, 25 Jahre Laufzeit –, denn einer der großen Gewinner bei der KATBist Baku.

Nach der neuen Ölpipeline, die über Tiflis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan führt (BTC), und der noch nicht fertig gestellten Gaspipeline über Tiflis nach Erzurum in Anatolien ist die Frachtstrecke auf der Schiene die dritte große Anbindung Aserbaidschans vom Kaspischen Binnenmeer an den europäischen Kontinent.

Im Spätsommer startet der Bau, so verabredeten die Staatschefs von Georgien, Aserbaidschan und der Türkei bei der Unterzeichnung des KATB-Projekts in Tiflis im vergangenen Februar. Neu zu bauen sind nur ein kurzes 29 Kilometer langes Teilstück auf georgischer und 76 Kilometer auf türkischer Seite, der Rest der Schienenstrecke muss überholt werden. Fünf Millionen Tonnen im Jahr sollen anfangs durch den Kaukasus rollen, auf 20 Millionen Tonnen würde die Fracht später wachsen.

Die Frage sei, so wenden Kritiker ein, was denn eigentlich auf die Schienen gesetzt werden soll, abgesehen von technisch aufwändigeren Ölprodukten aus Aserbaidschan, die sich nicht durch eine Pipeline transportieren lassen. Doch seit Kasachstan und China ihr Interesse an der KATBb ekundet haben, ist der Einwand haltlos geworden. Einen Teil der „Eisernen Seidenstraße“ nennen die Initiatoren deshalb die KATB, auch wenn die historischen Hauptrouten der Seidenstraße nie durch den Kaukasus führten und Südkoreas Staatschef Roh Moo-hyun, der den Begriff prägte, eigentlich von einer Strecke von Seoul nach Paris träumt – die über Moskau führt.

Russland aber ist der eine große Verlierer der KATB, Armenien der andere. Weil Armenien durch die Streckenführung weiter isoliert wird, haben sich auch weder die USA noch die EU an dem Projekt beteiligt. (Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.3.2007)