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Eine typische "street gang" in Los Angeles - rund 700 Jugendbanden gibt es in der Stadt, die gefährlichsten Mitglieder werden nun auf einer öffentlichen Liste angeführt.

Foto: Reuters
Los Angeles - "Mein richtiger Name tut nichts zur Sache." Der korpulente Junge, der sich Crudo nennt, stoppt jede weitere Frage nach seiner Familie und seiner Herkunft mit einer schnellen Handbewegung. Nur so viel offeriert der 17-Jährige mit dem Militärhaarschnitt, der schweren Goldkette und den wilden Tattoos: geboren in Los Angeles, seit fünf Jahren Mitglied bei den Midget Locos und "noch nie verhaftet".

Auf diese Feststellung legt Crudo großen Wert. Denn die Midget Locos sind eine berüchtigte Jugendbande. Eine von mehr als 700, die ihren Teil zur Verbrechensstatistik der zweitgrößten Stadt der USA beitragen. Zwar sank hier in den vergangenen fünf Jahren insgesamt die Zahl der Verbrechen, doch die Straftaten der Straßengangs nahmen 2006 um knapp 16 Prozent zu.

Neue Taktik

Das ließ die Alarmglocken schrillen in einer Stadt, die in der vergangenen Dekade mehr als 100 Millionen Dollar für präventive Programme ausgegeben hat. Eine neue Taktik musste her, und die Stadtoberen verfielen auf eine aus dem "Wilden Westen": Sie veröffentlichten eine Liste mit den meistgesuchten Bandenmitgliedern, "The Most Wanted".

Eine lange Liste sollte man meinen, denn in der "Stadt der Engel" werden mehr als 50.000 Bandenmitglieder gezählt. Wenn auch die meisten, wie Crudo, polizeilich bisher nicht aufgefallen sind, zehn Prozent gehören zum harten Kern. Diese zehn Prozent, sagt Polizeichef William Bratton, seien für die Hälfte aller 478 Morde im vergangenen Jahr verantwortlich.

Die Liste beunruhigt Crudo nicht besonders. Für ihn sind die Midget Locos "meine Familie" und keine kriminelle Gang. "Sicher", sagt er, "manche verdienen ihren Lebensunterhalt mit Drogen- oder Waffenhandel, aber Mörder sind sie deshalb noch lange nicht."

Die Liste ist nicht unumstritten. Die schärfsten Kritiker sind Sozialarbeiter und zum Beispiel Gregory Boyle. Der Jesuit leitet die Homboy Industries, eine gemeinnützige Organisation, die Bandenmitglieder mit Jobs von der Straße zu holen sucht. Er glaubt, dass die Liste sogar das Gegenteil bewirkt. "Ich habe einige Bandenmitglieder befragt und sie sagen alle das Gleiche: Es wird nur diejenigen, die sich bereits auf der Liste finden, honorieren, und andere motivieren, ebenfalls auf die Liste zu kommen."

Identität und Image

Malcolm Klein, Soziologie-Professor an der University of Southern California, bestätigt das: "Diese Kids werden mit Zeitungsausschnitten herumlaufen. "Warum schließen sie sich denn Gangs an? Weil es ihnen Identität und eine Art Image verschafft. Und eine derartige Liste trägt mit dazu bei."

Eine Art Ehrenabzeichen für Missetäter also? Überhaupt nicht, betont Polizeichef Bratton. Er nennt drei Kriterien, die den Banden einen Platz auf der Liste sichern: extreme Gewalttätigkeit, rassistisch motivierte Verbrechen und Gewaltakte gegen Polizisten. Und natürlich sei die Liste nur ein Teil der Maßnahmen. In den schlimmsten Vierteln solle mehr Polizei eingesetzt werden. Selbst das FBI spiele mit führe auf seiner Liste ein Bandenmitglied aus Los Angeles, "gleich hinter Osama Bin Laden".

Ausgehen dürfte dem Los Angeles Police Department (LAPD) die Verhaftungskandidaten so schnell nicht: Mehr als 27.600 Namen von Flüchtigen, darunter von vielen Bandenmitgliedern, sind im Polizeicomputer gespeichert. Im vergangenen Jahr wurden davon 1762 verhaftet. (Rita Neubauer, DER STANDARD - Printausgabe, 16. März 2007)