Jeweils montags, mittwochs und freitags eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Die nächste Stadtgeschichte kommt am 26. März.

Es war gestern. Da reagierte dann Leserin B. auf die Vortäuschbetteleigeschichte „Gestrandet“ von K.: Sie glaube, schreibt B., den von K. beschriebenen „Italiener“ zu kennen, sie sich aber nicht sicher, ob es sich da um den selben Mann handle. Und wenn ja, so B., würde sie gern wissen, welcher der beiden „südlich-frankophonen“ Typen denn K.s Italiener sei.

Denn ihr begegnen, schreibt B., immer wieder zwei Herren, die sie in der Innenstadt um Geld angingen, um – wie weiland ET – entweder nach Hause (Sizilien) zu telefonieren oder (und, meint B. fände sie ja fast schon wieder lustig) weil sie Geld bräuchten, um mit dem Taxi zur französischen Botschaft zu fahren. Um einen Pass für die Heimreise zu beantragen.

Ureinwohner

Aber im Grunde, wechselt B. dann das Thema, gehe es ihr gar nicht um die europäischen Gestrandeten, die ihr da auf Kärntner Straße, Graben und Kohlmarkt immer wieder entgegenkämen, sondern um einen Wiener Ureinwohner. Der sei nämlich verschollen: Winnetou, schreibt B., habe sie schon lange nicht mehr auf der Kärntner Straße gesehen – und langsam mache sie sich Sorgen.

Und als sie gestern zuerst irgendwo las, dass man in Kroatien nun ein Denkmal an jener Stelle errichten wolle, an dem sich Old Shatterhand und Piere Brice das erste Mal getroffen haben und gleich darauf K.s Italo-Story fand, habe sie sich an Winnetou erinnert.

Gitarrero

Winnetou kannte ich auch. Aber ich kann B. nicht helfen: Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen. Winnetou war – oder ist – jener Typ, der in der Innenstadt ewig mit einer umgehängten akustischen Gitarre unterwegs war den aber kaum jemand je singen gesehen hat. Oder besser: an dessen Gesang sich im ersten Augenblick niemand erinnern kann. Manchmal fragte Winnetou Passanten um Geld – und wenn man ihm anderes anbot (Zigaretten, Kaugummi oder Zuckerln) war er fast beleidigt. Auch Lebensmittel nahm er nur ungern an – und erklärte das unter anderem damit, dass sein Zahnfleisch anfällig oder empfindlich sei.

Aber der langhaarige, große Mann war weder unangenehm noch aufdringlich noch sonstwie lästig. Er gehörte einfach zur Fußgängerzone. So wie der Muhr-Brunnen oder die Bierlokal-Sandwichtafelwerbung. Und wie sein Fahrrad: Winnetou hatte ein wunderschön sinnlos aufgemotztes Rad, mit dem er jeden Tag in die City kam: Lenker, Rahmen und Reifen waren mit Federn und Glasperlen über und über geschmückt – und hintendran hatte er einen kleinen Anhänger, auf dem mit kleinen Plastikfiguren liebevollst großartig-idiotische Schlachtenszenen zwischen Cowboys und Indianern nachgestellt waren.

Vermisst

Außerdem, wirft ein Kollege vom Nebentisch gerade ein, hatte Winnetou einen Hund (Collie). Und während ich mich an den nicht erinnern kann, ist sich der Kollege nicht sicher, ob der Stadtindianer mit der Gitarre nicht ein anderer als der Indianer mit dem Rad gewesen sei. Egal: Beide gehörten zur City – und beide werden vermisst.

Nach dem Rad zu suchen, erinnert sich der Kollege vom Nachbartisch aber ident mit mir, ist aber sinnlos: Vor einigen Jahren wurde Winnetou nämlich ein bisserl berühmt – weil irgendjemand sein Fahrrad (samt Anhänger) gestohlen hatte. Und die von dem den Tränen nahen Indianer im Fernsehen deponierte Hoffnung, dass ein Bike wie das seine doch auffallen müsse und ergo rasch Heim finden würde, erfüllte sich nicht. Denn ein – aber hier könnten sich der Kollege und ich auch täuschen – vom Bürgermeister angebotenes Ersatzrad könne er unmöglich annehmen: Aus Stolz – und weil es Jahre gedauert habe, sein Rad zum echten und einzigen Winnetourad zu machen.

B.s Frage, sind sich der Kollege vom Nachbartisch und ich allerdings einig, können wir dennoch nur aus ganzem Herzen unterstützen. Oder mitstellen: Was wurde aus Winnetou? Denn seit uns aufgefallen ist, dass er nicht mehr jeden tag die Kärntner Straße auf und ab geht, fehlt er uns. Und wir machen uns Sorgen. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 16. März 2007)