Wien - Mit einer Kundgebung vor dem Wiener Parlamentsgebäude haben die Umweltschutzorganisationen WWF Österreich und Global 2000 heute, Mittwoch, gemeinsam mit der NGO Eca-Watch neuerlich gegen das umstrittene türkische Staudammprojekt Ilisu demonstriert. Der österreichische Konsortiumsführer Andritz AG ist mit einem Auftragsvolumen von 230 Mio. Euro am 1,2 Mrd. Euro-Projekt beteiligt. Vergangene Woche hat der Beirat im Finanzministerium eine Haftungsübernahme in Höhe von 200 Mio. Euro für den Tigris-Damm empfohlen.

Einige Dutzend NGO-Aktivisten haben sich am Mittwochvormittag am "internationalen Aktionstag gegen Staudämme" vor dem Parlamentsgebäude eingefunden. Ziel der Aktion sei es, den Parlamentariern und den verantwortlichen Entscheidungsträgern für Ilisu, allen voran Finanzminister Wilhelm Molterer (V), einen Protestaufruf zu überreichen, sagte ein WWF-Sprecher.

Am Donnerstag hatte der Beirat im Finanzministerium, bestehend aus Ministerienvertretern, Sozialpartnern sowie Oesterreichischer Kontrollbank (OeKB) eine Haftungsübernahme für Ilisu gebilligt. An dem südostanatolischen Staudamm-Projekt in der Türkei sind Unternehmen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland beteiligt.

Die Nichtregierungsorganisationen kritisieren, dass der Irak bis heute nicht konsultiert worden sei. Eine Delegation des irakischen Premiers Nuri al Maliki in der Vorwoche in Wien habe dies bestätigt, hieß es. Zudem seien die Konsequenzen für die Umwelt nach wie vor ungeklärt. Der Beiratsbeschluß sei "auf Grund falscher Informationen zustande gekommen," so der WWF.

Die Exportkreditagenturen der drei Länder haben dem Bauvorhaben bereits mit Vorbehalt unter Einhaltung von Auflagen zugestimmt. Bis Ende März 2007 muss eine definitive Entscheidung der zuständigen Gremien in den jeweiligen Ländern für eine positive Haftungsübernahme fallen. Ansonsten will die Türkei den Auftrag für das Staudamm-Projekt neu ausschreiben. Das jetzige Baukonsortium, an dem neben der VA Tech Hydro/Andritz unter anderen auch Alstom sowie Strabag/Züblin beteiligt sind, muss Ankara bis Ende März ein komplettes Paket inklusive Kreditzusagen vorlegen.

Irakischer Außenminister soll brieflich in Berlin protestiert haben

Am vergangenen Donnerstagabend hatte der deutsche innerministerielle Ausschuss zum Thema Exportkredithaftung für das Staudammprojekt Ilisu getagt. Einigung konnte keine erzielt werden. Auf Anfrage der APA im deutschen Wirtschaftsministerium hieß es: "Es wird weiter geprüft". Ein Ministeriumssprecher erklärte, man sei bei der Prüfung nicht an Zeitpläne gebunden. Dass mit einer verspäteten Entscheidung Ilisu in der jetzigen Form nicht stattfinde, sei den Verantwortlichen aber bewusst.

Die türkischen Auftraggeber hätten jedenfalls keinen Druck gemacht, wurde in Berlin versichert. Von einem Brief des irakischen Außenministers Hoschyar Zebari an die deutsche Bundesregierung, der die fehlenden Konsultationen der Türkei mit den Nachbarländern Irak und Syrien bemängelte, und sich gegen eine deutsche Projektunterstützung aussprach, sei nichts bekannt, hieß es. Die Türkei habe seine Nachbarn Irak und Syrien informiert und Gespräche anberaumt. Dort soll die Gesamtfrage "Euphrat und Tigris" behandelt werden. Zudem besitzen die türkischen Nachbarstaaten Syrien und Irak nach Ansicht des deutschen Ministeriumssprechers kein Vetorecht gegen das Staudammprojekt.

Der Verlauf der Flüsse Euphrat und Tigris führt durch die südlichen Nachbarstaaten der Türkei. Diese befürchten mit dem neuerlichen Staudamm Beeinträchtigungen hinsichtlich Wassermenge und -qualität. Ilisu ist das letzte große Kraftwerksvorhaben im Rahmen des GAP, eines großen Infrastrukturvorhabens mit 22 Staudämmen und 19 Wasserkraftwerken, um das vorwiegend kurdische Südostanatolien wirtschaftlich und sozial zu entwickeln.

Über 50.000 Menschen sind direkt oder indirekt von der Umsiedlung durch den Ilisu-Staudamm betroffen. Nach Angaben der Projektbetreiber sollen 600 Mio. Euro für begleitende Maßnahmen, also für Umweltschutz, Entschädigungen bis zum Schutz historischer Kulturgütern wie Hasankeyf vorgesehen sein.

Ilisu, das mit einer Bauzeit von sieben Jahren veranschlagt ist, würde nämlich die Jahrtausende alte Stadt Hasankeyf nahe der kurdischen Provinzstadt Batman zu großen Teilen unter Wasser setzen. Bereits vor einigen Jahren war das antike Zeugma in Südostanatolien in den Fluten eines Staudammes versunken. (APA)