Die Neupositionierung der Kunst-Universitäten als kreative Bildungsinstitutionen: die Rektoren Gerald Bast (li.) von der Angewandten und Stephan Schmidt-Wulffen von der Akademie der bildenden Künste.

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Aus gutem Grund, wie Gerald Bast, Rektor der Angewandten, und sein Kollege Stephan Schmidt-Wulffen von der Akademie im Gespräch mit Thomas Trenkler erklären.

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Standard: Man diskutiert über Zugangsbeschränkungen, die Medizin-Unis glauben, dem Ansturm nicht Herr zu werden. Sind die Kunst-Universitäten in einer glücklicheren Lage, weil sie traditionell über das selektierende Element der Aufnahmeprüfung verfügen?

Bast: Aufgrund der Zugangsbeschränkungen haben wir tatsächlich bessere Voraussetzungen im Betreuungsverhältnis als beispielsweise die Wirtschaftsuniversität. Es handelt sich aber auch um eine völlig andere Art des Studiums.

Schmidt-Wulffen: Prinzipiell: Ja, uns geht es gut mit den Aufnahmeprüfungen, aber den politischen Diskurs jenseits der Kunst-Universitäten muss man problematisieren.

Bast: Man sollte von einem Land, das sich weltoffen darstellt, erwarten können, dass auch der Bildungsbereich international ausgerichtet ist. Die Abwehr der Ausländer als Motiv für die Aufnahmebeschränkung scheint mir der falsche Ansatz. Eine klare Aussage wäre: Wir haben zu viele Studenten und können mit dem Budget, das wir zur Verfügung haben, die Standards nicht halten oder eigentlich erreichen. Aber es gibt so eine Politik des Herumschwindelns mit tendenziell xenophobischen Argumenten – und das stößt mir sauer auf. Wir haben an der Angewandten etwa ein Drittel ausländische Studierende, die Musik-Unis haben zum Teil noch wesentlich mehr. Das ist auch ein Qualitätszeichen für die österreichischen Kunst-Universitäten wie auch für den Staat.

Standard: An der Grazer Medizin-Uni gibt es einen Multiple-Choice-Test, um zu garantieren, dass jeder Studierwillige gleiche Chancen hat. Bei den Kunst-Unis hingegen ist man den Professoren ausgeliefert.

Bast: Wie sophisticated diese Tests auch sein mögen: Sie taugen nicht, um die geeigneten Studenten herauszufinden. Bei uns hat man Mappen vorzulegen, die von einem Team tagelang angeschaut werden. Und dann gibt es persönliche Interviews. Dieses Verfahren ist meilenweit weg von einem Multiple-Choice-Test: Da wird auf die Einzelperson eingegangen. Ihre Behauptung, dass ein Professor entscheidet, ist polemisch!

Standard: Die Universitäten bekommen die Studiengebühren von 363 Euro pro Semester. Da aber die Ausbildung jedes Studenten weit teurer kommt, wäre es vielleicht sinnvoll, noch restriktiver bei den Aufnahmen zu sein: Je weniger Studierende, desto höher die Qualität des Studiums.

Schmidt-Wulffen: Nein, diese Rechnung geht nicht auf. Denn das Teure ist die Infrastruktur: Für diese Art Ausbildung gibt es massive Raumnotwendigkeiten, und es ist auch ein klares Spektrum an Professoren und Professorinnen notwendig, um international wettbewerbsfähig zu sein. Die Frage ist eine prinzipielle: Wie gehen wir damit um, dass der Kunstmarkt unsere Absolventen ohnehin nur zu einem geringen Bruchteil absorbieren kann?

Standard: Da nur etwa drei Prozent der Absolventen im Kunstbetrieb Fuß fassen können: Produzieren die Kunst-Unis Künstler am Markt vorbei?

Bast: Dieser Schluss ist nicht zulässig. Auch jene, die Philosophie studiert haben, sind nur zu einem geringen Prozentsatz wissenschaftliche Philosophen. Man muss sich endlich von der Vorstellung starrer Berufsbilder trennen. Die Universitäten haben nie versprochen: Wenn du dieses oder jenes studierst, kriegst du diesen oder jenen Beruf. Die Universitäten stellen nur ein intellektuell-künstlerisch anregendes Ambiente zur Verfügung, in dem es möglich ist, experimentell, denkend und kreativ tätig zu sein. Wie diese Erkenntnisse dann beruflich umgesetzt werden, da können wir nur Hilfestellungen leisten – und da sollten wir mehr Hilfestellungen geben.

Standard: Doch die Angewandte reagiert sehr wohl auf die Bedürfnisse des Marktes: Eine Malereiklasse wurde aufgegeben, die Designausbildung hingegen ausgebaut.

Bast: Wir schichten nicht von einem abgehoben-künstlerischen Bereich, der keinen Arbeitsmarkt hat, zu einem ökonomisch-orientierten um, sondern reagieren auf die Tatsache, dass sich „Kunst“ und „angewandte Kunst“ immer mehr vernetzen. Es ist immer schwieriger zu unterscheiden zwischen den Berufsfeldern von Designern und Künstlern.

Schmidt-Wulffen: In der Angewandten ging es aber immer um einen Bezug zur industriellen Produktion. Das Gründungsjahr der Akademie und ihr damaliger Bildungsauftrag reicht aber ins 17. Jahrhundert zurück, als das Künstlerbild ein autonomes war. Heute müssen wir von einem anderen Kunstbegriff ausgehen und uns anderen Fragestellungen in der Ausbildung widmen, weil wir weit schwieriger berufsbezogen sein wollen und können, als wenn wir Designer oder Berufsgrafiker ausbilden würden.

Standard: Sie wählen daher eine andere Strategie: Das Studium an der Akademie als Rüstzeug fürs weitere Leben.

Schmidt-Wulffen: Ja. Das, was früher das philosophische Studium generale war, ist heute das Kunststudium. Denn die Menschen, die sich bei uns bewerben, spüren, dass in Schulen wie der unseren Kreativität in einem sehr tiefen und authentischen Sinne unterrichtet wird. Die Kunstschulen dürfen nicht am Klischee haften bleiben, nur Meisterwerke zu produzieren.

Standard: Ich habe Sie schon länger nicht mehr über Budgetnöte klagen hören. Hat sich die Situation gebessert?

Bast: Tatsache ist, dass wir eine ordentliche Budgetsteigerung verhandeln konnten. Schmidt-Wulffen: Auch wir kommen über die Runden. Aber das, was man von uns erwartet: international Flagge zeigen, große zusätzliche Profilleistungen erbringen – das wird nicht möglich sein.

Standard: Es ist also nicht möglich, internationale Kapazitäten nach Wien zu holen, zum Beispiel einen Top-Designer für die Modeklasse?

Schmidt-Wulffen: Darum geht es nicht. Die Kapazitäten kann man immer bezahlen, wenn man es denn will. Aber es geht vor allem darum, die Schule neu zu positionieren. Wir müssen zum Beispiel als Produktionsfaktor in der Kulturszene dieses Landes stärker sichtbar werden – denn nichts anderes kann künstlerische Forschung heute bedeuten. Dann heißt das, dass wir uns stärker in den Bereichen Ausstellungen und Publikationen einbringen müssen. Aber das kostet viel Geld.

Bast: Zaha Hadid unterrichtet an der Angewandten – aber nicht, weil sie bei uns so viel verdient. Und Erwin Wurm hätte es angesichts seiner Erfolge auch nicht notwendig, an der Angewandten zu lehren. Am wichtigsten ist der Spirit einer Institution: Ist es für einen Künstler oder Architekten oder Designer interessant, in Wien einen Fuß in der Tür zu haben? Also: Was tut diese Stadt, um sich international als interessanter Standort für zeitgenössische Kulturaktivitäten zu positionieren? Und da gibt es große Defizite.(Thomas Trenkler/DER STANDARD-Printausgabe, 14. März 2007)