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Wenn Psychologinnen und Computerexperten gemeinsam forschen wie in Graz, werden Rechnungen visualisiert und Übersetzungsfehler schon erahnt, bevor sie passieren.

Foto: apa
Sie belegt aber auch das Dilemma der fehlenden Chancen des Forschungsnachwuchses.

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Es war ein besonderes Kompliment, das die honorige Professorenriege Christa Neuper gemacht hatte: Sie bot ihr eine Professur an. Und das an der Technischen Universität (TU) Graz. Was die Sache bemerkenswert macht: Christa Neuper ist Psychologin. Also alles andere denn eine prononcierte Technikerin.

Neuper, die schließlich doch am Psychologischen Institut blieb, aber nun interdisziplinär für die TU und die Uni Graz forscht, kam über die Gehirnforschung mit der TU Graz in Kontakt. Dort hatte man schon früh erkannt, dass sich psychologische Kognitionswissenschaften und computerunterstützte Informationswissenschaften bestens verstehen. Neuper dockte also bei Gert Pfurtschellers erfolgreichem Team rund um das BCI-Labor (Brain-Computer Interface) an, mit dem Möglichkeiten entwickelt wurden, allein über Gedanken und über Visualisierungen Impulse auszulösen, um Cursor am Computer, aber auch Rollstühle oder Prothesen zu steuern. Allein die Vorstellung von Bewegung reicht, um Bewegungen zu initiieren.

Sichtbare Mathematik

Es ist eine beispielhafte wissenschaftliche Liaison zwischen Technik und Psychologie. Denn zu erfassen, was sich bei Lernprozessen, bei Wissenszuständen, aus kognitionswissenschaftlicher Sicht im Gehirn abspielt, ist nur mit hochsensiblen Computer_lösungen möglich, die von den Informationstechnikern an der TU in Zusammenarbeit mit den Psychologinnen punktgenau entwickelt werden.

Eines der neuen Versuchsfelder: Auf Magnetresonanzbasis wurden die Gehirntätigkeiten guter und schlechter Mathematiker visualisiert. Die Thesen wurden bestätigt: die Computerbilder spielen andere Muster ein, wenn sich gute Mathematiker über Rechenaufgaben her machen. Sie nutzen ökonomisch nur eine ganz spezielle Region des Gehirns, den Gyrus angularis, dem höhere menschliche kognitive Leistungen, wie die Fähigkeit zur Abstraktion, zugeordnet werden. Schwächere Mathematiker brauchen sozusagen die ganze Gehirn-"Hardware". Hier setzt Neuper an. Vielleicht gelingt es, Lernprozesse zu stimulieren, um von vornherein die spezifischen "Mathematik-Areale" im Gehirn zu aktivieren. In den nächsten Monaten macht sich ein Team in Richtung Brüssel auf. Die Grazer Forscher werden die Gehirntätigkeiten der dortigen EU-Dolmetscher mittels EEG aufzeichnen. Aber auch über Augenbewegungen soll exakt eruiert werden, wann Dolmetscherinnen und Dolmetscher beim Übersetzen Probleme bekommen.

Dolmetsch-Alarm

Ziel könnte sein: Noch bevor Dolmetschern bewusst wird, dass sie ein Übersetzungsproblem bekommen, hat das Gehirn längst am Computer „Alarm“ signalisiert. Auf dem Bildschirm erscheinen rechtzeitig Pop-ups mit entsprechenden Sprachhilfen. Christa Neuper hat mit der Gehirnforschung frischen Wind ins Psychologische Institut in Graz gebracht. Dass es nachhaltig in Bewegung bleibt, da ist die Wissenschafterin skeptisch. Denn es klemmt hier wie auch andernorts auf den Unis beim Forschungsnachwuchs. Neuper: "Es fehlt uns die Kontinuität der Forschung." Durch die befristeten Verträge können gute Wissenschafter nicht gehalten werden. Immer dann, wenn der Forschungsprozess ins Laufen kommt, laufen oft auch die Verträge der jungen Forscher aus. Vieles müsse wieder neu mit neuen Dissertanten, die "angelernt" werden müssen, angefangen werden. Der Karriereweg an den Unis sei einfach nicht klar und unattraktiv, der Weg nach Abschluss der Dissertation zur Professur nicht offen. Wiedersehen mit den talentierten Kollegen gibt es erst nach Jahren. Via Videokonferenzen übers Internet, wenn sich die ehemaligen Dissertanten zuschalten. Von den Unis in den USA, Asien oder der Schweiz. (Walter Müller/DER STANDARD-Printausgabe, 13. März 2007)