Wien - Eine breit angelegte, viertägige internationale Konferenz beschäftigt sich in Wien ab kommenden Montag (19. März) mit der "jüdischen Erfahrung" im Wien der Jahre 1900 bis 1938. Ziel der vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien organisierten Veranstaltung ist nicht nur ein interdisziplinärer Austausch über die neuesten Forschungsergebnisse, sondern auch die Einbeziehung einer möglichst breiten Öffentlichkeit. Deshalb sind alle Vorträge, Filmvorführungen und Lesungen öffentlich und bei freiem Eintritt zugänglich.

"Die Wissenschaft darf nicht im Elfenbeinturm stattfinden, sondern muss sich der Öffentlichkeit und der Diskussion stellen", ist Organisator Frank Stern, der u.a. die Eröffnungsveranstaltung im Rathaus-Festsaal am 19.3. (18 Uhr) und die Debatte nach einer Vorführung des Films "Stadt ohne Juden" (Metro Kino, 20.3., 20 Uhr) moderieren wird, überzeugt. Deshalb hält Stern den Zeitpunkt für die Tagung für ideal: "Wir werden alle im nächsten Jahr 1938 gedenken, dafür ist es wichtig, sich die Situation der 1920er- und 30er-Jahre bewusst zu machen."

Prominente Namen und breite Bevölkerung

Die wissenschaftliche Forschung habe sich stark auf das Fin de Siecle konzentriert, doch viele jüdische Künstler und Wissenschafter hätten erst danach ihre produktivste Phase gehabt. Deshalb wurde für die Kongress-Vorschau ein Foto gewählt, das den Dichter Arthur Schnitzler nicht etwa im Fiaker, sondern im offenen Sportwagen zeigt. An prominenten Namen fehlt es nicht bei den Vortragsthemen, die Liste reicht von Schnitzler und Joseph Roth bis Felix Salten, von Gustav Mahler bis Arnold Schönberg, von Sigmund Freud bis Walter Benjamin. Doch geht es auch um die Lebenserfahrung der breiten jüdischen Bevölkerung.

Den Eröffnungsvortrag "Was nicht im Baedeker steht: Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit" hält Steven Beller, in Washington lebender Autor mehrere Bücher zur österreichischen und jüdischen Geschichte. Er und Vivian Liska, die ebenfalls anreisende Direktorin des Instituts für Jüdische Studien Antwerpen, sind gute Beispiele für die Internationalität des Themas. Am meisten freut sich der Zeithistoriker Stern jedoch über die Vielzahl von jungen Kollegen, die teilweise noch unpublizierte Forschungsergebnisse vorstellen werden. Deswegen ist ihm der parallel stattfindende internationale Graduierten-Workshop besonders wichtig.

"Wie waren diese Menschen davor?"

"Es ist ein Versäumnis, Wien nicht stärker zu einem Zentrum der Erforschung der jüdischen Geschichte gemacht zu haben", meint Stern. Allerdings habe er jetzt bei der Vorbereitung und Finanzierung der Konferenz nur positive Erfahrungen mit öffentlichen Stellen gemacht, und immerhin gibt es seit kurzem mit dem 15. Band der bei Ueberreuter erscheinenden "Österreichischen Geschichte" erstmals seit vielen Jahren wieder eine umfassende Darstellung der gemeinsamen österreichisch-jüdischen Vergangenheit. Der Salzburger Historiker Albert Lichtblau, der sich in dem Band dem letzten Kapitel von 1848 bis zur Gegenwart gewidmet hat, spricht bei der Konferenz über "Traditionen und Brüche der Judenfeindschaft in Wien von 1900 bis 1938" (20.3., Vormittag).

Doch Stern ist es ein großes Anliegen, dass Judenverfolgungen und Shoa bei der Beschäftigung mit der jüdischen Geschichte nicht die reichen kulturellen Leistungen und Traditionen überdecken: "Es ist wichtig, der heranwachsenden Generation positive Erfahrungen zu vermitteln. Es geht nicht nur um die Vertreibung, sondern auch um die Frage: Wie waren diese Menschen davor?" Und gerade dabei gibt es, von "Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung" bis zum "Jüdischen Leben in kulturellen Zwischenräumen" bei der Wiener Konferenz viel bisher kaum Bekanntes zu entdecken. (APA)