Wien - "Who is Marie-Louise von Motesiczky?" Diese Frage versucht das Wien Museum ab morgen, Donnerstag, in einer Ausstellung zu beantworten - keine Neu-, aber doch eine Wiederentdeckung einer österreichisch-englischen Künstlerin, die nach wie vor einer breiten Öffentlichkeit unbekannt ist. Über zehn Jahre nach der letzten Schau in der Österreichischen Galerie Belvedere (1994) gastiert nun eine zum 100. Geburtstag (24.10.2006) zusammengestellte Retrospektive nach Stationen in Liverpool und Frankfurt in Motesiczkys Heimatstadt Wien.

Marie-Louise von Motesiczky wurde in eine wohlhabende jüdische Familie geboren und hat "immer ein finanziell unbeschwertes Leben geführt", meinte Kuratorin Ursula Storch bei der heutigen Presseführung. Die junge Frau wuchs in einer typischen Schnitzler-Welt auf, der Dichter zählte auch neben Hofmannsthal zum Freundeskreis der Familie, die Großmutter war eine der ersten Patientinnen Freuds, der Vater musizierte mit Brahms. In der herrschaftlichen Familienvilla in der Hinterbrühl lernte die 13-Jährige den Maler Max Beckmann kennen "und beschloss, sie wird Malerin" (Storch). 1927/28 besuchte sie Beckmanns Meisterklasse in Frankfurt, vom deutschen Expressionismus stark beeinflusst sind ihre ersten Bilder. 1938 flüchtete die Familie über Holland, danach weiter nach London.

Wunderbar lässt sich ihre künstlerische Entwicklung anhand einer Serie von fünf Selbstporträts nachvollziehen, die im ersten Raum der rund 70 Gemälde umfassenden Ausstellung zu sehen ist: Von Porträts eines typischen Backfischs der 1920er-Jahre, das die 20-Jährige mit Spiegel und Kamm zeigt, über verschiedene Darstellungen als mondäne Frau von Welt, die den späteren Einfluss Oskar Kokoschkas (den sie persönlich gekannt hat) nicht verleugnen können, bis hin zum 1993, drei Jahre vor ihrem Tod entstandenen letzten Selbstporträt, in dem die Farben verschwimmen und verblassen. "Der deutsche Expressionismus spielte anfangs eine große Rolle, später wandelte sich der Stil zu einer ganz persönlichen Expressivität, unbeeindruckt von den Avantgarden", so die Kuratorin.

Canetti-Porträts

Insgesamt hat Marie-Louise von Motesiczky in ihrem Leben rund 300 Bilder und an die 1.100 Zeichnungen und Skizzen geschaffen. Die meisten befinden sich heute im Besitz des Londoner Motesiczky Trusts, der das Erbe der Künstlerin verwaltet. Ein 1960 gemaltes Porträt von Elias Canetti befindet sich bereits seit 1967 im Wien Museum und ist nun gemeinsam mit anderen Canetti-Porträts, einigen Briefen und dem erst 2005 erschienenen Canetti-Band "Aufzeichnungen für Marie-Louise" in einem eigenen Abschnitt der Schau zu sehen. Mit dem Nobelpreisträger, den die Malerin 1939 kennen gelernt hatte, verband sie eine über Jahrzehnte dauernde turbulente Liebesbeziehung. "Ganz ohne C. Welt ohne Sinn - mit C. endlose Quälerei", schrieb sie einmal. Canetti war verheiratet und heiratete nach dem Tod seiner Gattin hinter Marie-Louises Rücken eine andere. "Canetti ist nicht der strahlende Held in dieser Ausstellung", versicherte Museums-Direktor Wolfgang Kos.

Nach einem Raum mit eigenwilligen, fast naiv wirkenden Landschafts- und Gesellschaftsbildern sowie Stillleben aus den 1960er- und 1970er-Jahren schließt die Ausstellung mit einer Serie von über viele Jahrzehnte hinweg entstandenen Porträts der Mutter, die in Marie-Louises Leben eine prägende Rolle gespielt hat. Am Ende gibt es auf einem Bildschirm eine zwölfminütige Kurzfassung des filmischen Familienporträts "Die Motesiczkys" von Frederick Baker. Darin kommt auch die betagte Malerin selbst zu Wort. Den vollständigen Film strahlt ORF 2 am Sonntag, 11. März (9.30 Uhr) aus. (APA)