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Foto: Reuters/Herman
Zuerst überraschte Amélie Mauresmo mit einem Halbfinalsieg über Lindsay Davenport. Dann mit der ungenierten Umarmung con brio einer Frau im Publikum: Sylvie Bourdon, ihrer Lebensgefährtin. Da war mit einem Mal alles klar. Sie wäre ja ohnehin ein halber Mann, ätzten Verliererin Davenport und Kollegin Martina Hingis in Anspielung auf Mauresmos bemerkenswerten Muskeltonus und ihre einhändig gespielte Rückhand - einer Seltenheit im Damentennis. Vielleicht irritierte auch dieser unherzige Sean-Penn-Ausdruck im Gesicht der Anti-Kournikowa, wenn sie ihre Kraft in Aufschlag-Stundenkilometer umsetzt. Damit war die Aufregung über Mauresmos Coming-out auch schon wieder vorbei. Davenport und Hingis wurden in den Zeitungen für ihre Aussagen gerüffelt. Mauresmos Sponsoren - Nike, Dunlop und Gaz de France - sahen keinen Grund, ihre Verträge mit ihr zu lösen. Warum auch? Die 28-Jährige pflegt einen gelassenen Lebensstil mit Wohnsitz Genf, parliert gelegentlich mit ihrem Idol Yannick Noah über die mentalen Aspekte des Spiels und der Musik, verkostet französische Spitzenweine und führt ihre Harley Gassi, und alle finden es normal.

Von einem Gewöhnungseffekt seitens der Sponsoren kann man nicht sprechen. Amélie Mauresmo ist erst die zweite Frau der Tennis-Weltspitze, die sich selbst geoutet hat. Der erste Fall liegt 18 Jahre zurück: Martina Navratilova bekannte 1981 zögerlich, bisexuell zu sein. Bei dieser Version blieb sie auch, nachdem sie Beziehungen etwa zur Schriftstellerin Rita Mae Brown hinter sich hatte und während sie eine Gemeinschaft mit der weniger prominenten Judy Nelson lebte. Das Beispiel der Tennis-Legende Billie Jean King vor Augen, die die Sponsoren - nach einem unfreiwilligen Outing - fallen gelassen hatten, ließ Navratilova zittern. Der Kampf um ihren Lebensstil begleitet sie bis heute. Sie ist Frontfrau bei lesbisch-schwulen Kundgebungen und engagiert sich politisch. Außer dem Kampf blieben auch die sauren Trauben: "Hätte ich mich vor 50 Jahren geoutet, hätte man mich in eine Zwangsjacke gesteckt. Da hab ich's noch gut erwischt."

Amélie Mauresmo kämpft nicht. Nicht um Sponsoren. "Wenn sie mich fallen lassen, gibt es ein Dutzend andere." Nicht um Privatsphäre. Das Bekenntnis zu ihrer sexuellen Orientierung stärke sie, sagt sie, als Person und Sportlerin. Ihre Offenheit hat keine politische Dimension. Ihren Prominenten-Status bezieht die Wimbledon-Siegerin '06 nur vom Tenniscourt. (Bettina Stimeder, DER STANDARD Printausgabe 08.03.2007)