Zur Person
Shirouk al-Abayachi (48) ist 1979 aus Bagdad geflüchtet, seit 1986 lebte die Diplomingenieurin in Wien. Im Oktober 2003 kehrte sie in den Irak zurück. Sie ist Koordinatorin beim NGO-Dachverband Iraqi Women Movement und arbeitet fürs Frauen-Forschungsprojekt Iraqiyat.

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Standard: Wie kann man sich Frauen-NGO-Arbeit in Bagdad heute vorstellen?

Abayachi: Es wird jeden Tag schwieriger, aber wir machen weiter. Wir arbeiten heute mehr als früher, weil viele Aktivistinnen bereits geflüchtet sind. Anfangs war es vor allem politische Bewusstseins- und Kapazitätsbildung für Frauen. Im Irak gab es ja nicht einmal die Terminologie für demokratische Prozesse. Wir haben mobile Teams ausgebildet, die auch aufs Land gegangen sind. Das war gute Arbeit, der Nachteil war, dass wir an eine vorgegebene politische Agenda gebunden waren.

Standard: Sie haben den politischen Prozess mitgetragen. Er hat bisher dem Irak nichts gebracht, den Frauen schon gar nicht. Ist das ein Scheitern?

Abayachi: Ja. Die irakische Politik teilt jedoch die Meinung nicht, dass wir den Prozess unterstützt haben. Die Frauenbewegung war nichts Angenehmes für sie, etwa unser Sit-in vor dem Parlament vor Fertigstellung der Verfassung 2005. Wir wollten, dass die Verfassung mehr Zeit bekommt, um Artikel 41 zu korrigieren – ein großer Rückschritt für die Frauen, weil er das Personenstandsrecht mit dem religiösen ersetzt. Manche Parteien, die liberalen, die kurdischen, haben Verständnis für unsere Forderungen gezeigt – sie aber nur als Verhandlungsmasse benützt, um eigene Interessen durchzusetzen.

Standard: Aber Sie haben kein Nein beim Verfassungsreferendum empfohlen.

Abayachi: Wir wollten immer nur, dass die Frauen ihre Rechte wahrnehmen. Wir haben auch nie gesagt, dass sie keine religiösen Parteien wählen sollen. Und jetzt melden wir uns eben beim Verfassungsrevisionsprozess wieder. Wir haben Iraqiyat (Irakerinnen), ein Zentrum für Frauenforschung, gegründet, das soeben ein Buch herausgegeben hat, das sich mit den Folgen der Umsetzung von Artikel 41 und anderen Gender-Fragen die Verfassung betreffend beschäftigt. Das Zentrum befasst sich natürlich auch noch mit anderen Frauenfragen, etwa den Auswirkungen des Konflikts auf die Frauen.

Standard: Welche Rolle spielen die Frauen, die in Regierung und Parlament sitzen?

Abayachi: Überhaupt keine. Manchmal hören wir heute Vorwürfe, dass wir auf eine Frauenquote im Parlament bestanden haben. Wir bereuen es nicht, aber die Frauen, die dadurch ins Parlament gekommen sind, reflektieren nicht einmal das durchschnittliche Bild der irakischen Frau, sie sind passiv und negativ.

Standard: Sind Sie und Ihre Forderungen repräsentativ? Frauen tragen ja die Islamisierung, auch den Konflikt, mit.

Abayachi: Wir haben im Moment keinen großen Einfluss. Aber es gibt auch die Realität, dass die irakischen Frauen, wie während des Iran-Irak-Kriegs, die ganze Gesellschaft in die Hand genommen haben. Sie haben Angst um ihre Söhne und Männer, sie, die Frauen sind es deshalb, die außer Haus gehen, um die Familien zu ernähren. Gleichzeitig, und das ist der Deformierung der irakischen Gesellschaft zuzusprechen, vertiefen sich die patriarchalischen Verhältnisse. Die Frauen profitieren nicht von ihrem Status.

Standard: Sie sind heute in dieser Szene die letzte verbliebene Ex-Exilantin. Haben Sie genügend Hilfe von außen, was würden Sie sich etwa von Ihrer zweiten Heimat EU wünschen?

Abayachi: Dass sie das Geld nicht nur den UNO-Agenturen gibt, die es außerhalb des Irak, etwa in Amman, ausgeben, sondern Projekte im Irak selbst unterstützt, wie das unsere. (Das Gespräch führte Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 8.3.2007)