Valandro: "Religion spielt in Irland im Alltag eine geringere Rolle als in Österreich."

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Die republikanische Partei Sinn Féin, politischer Flügel der Irisch-Republikanischen Armee, findet unter den katholischen Bewohnern am meisten Zuspruch.

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In Irland beziehen "extremistische Splittergruppen" mit Kontakten zur organisierten Kriminalität immer noch ihre Existenzberechtigung aus dem Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken. Nicht zuletzt deswegen, meint der Autor und Historiker Franz Valandro im derStandard.at- Interview , wird der Konflikt das Land auch in ferner Zukunft noch begleiten.

Sollte bei den Wahlen am 7. März - wie prognostiziert - die Democratic Unionist Party die stärkste und die Sinn Féin die zweitstärkste Partei werden, könnten seiner Meinung nach die Konflikte wieder verstärkt aufbrechen.

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derStandard.at: Am 28. Juli 2005 erklärte die IRA den bewaffneten Kampf für beendet. Wie ist die Lage der katholischen Minderheit in Nordirland heute?

Valandro: Für die Menschen selbst hat sich insofern verändert, dass die Gewaltebene von IRA und protestantischen Loyalisten verschwunden ist. Was nach wie vor noch latent vorhanden ist, ist eine Ethnisierung und Polarisierung der Gesellschaft. Neueste Studien zeigen sogar, dass sich vor allem bei den Jüngeren diese Polarisierung wieder verstärkt. Alltägliche Gewalt ist für die Leute aber nach wie vor eine Bedrohung.

derStandard.at: Die klassische Positionierung katholisch-protestantisch hat allerdings keinerlei religiöse Dimension.

Valandro: Das sind Zuschreibungen, die sich historisch entwickelt haben. Der Konflikt ist primär kein Religionskonflikt sondern einer zwischen zwei ethnisierten Gruppen. Auf der einen Seite die, die für einen stärkere Bindung zur Republik Irland eintreten, auf der anderen Seite die protestantische Mehrheit, die für eine stärkere Bindung zu Großbritannien beziehungsweise ein Unabhängigkeit von Nordirland eintritt. Religion spielt in Irland im Alltag eine geringere Rolle als in Österreich.

derStandard.at: Gewaltbereite Organisationen existieren immer noch. Könnte der Konflikt wieder aufbrechen und in welcher Dimension?

Valandro: In beiden Lagern gibt es immer noch extremistische Gruppierungen, die sich von den paramilitärischen Hauptorganisationen abgespalten haben. Zum Beispiel die "Real IRA" auf der katholischen Seite und Splittergruppen wie die "Loyalist Volunteer Force" und andere auf der protestantischen Seite. Diese beziehen ihre Existenzberechtigung aus dem Konflikt. Dazu kommt, dass diese Organisationen oft mit organisierter Kriminalität verflochten sind und der Konflikt auch zur Erhaltung der Geschäftsbasis dient.

derStandard.at: Was erwarten Sie sich von den kommenden Wahlen? Was passiert, wenn - wie prognostiziert - die Democratic Unionist Party die stärkste und die Sinn Féin die zweitstärkste Partei wird?

Valandro: Sollte es durch diese Konstellation zu keiner Regierungsbildung kommen, werden diese Konflikte wieder verstärkt aufbrechen. Die extremere Positionierung ist ein Trend der letzten Jahre. Sowohl im katholischen-irischen als auch im protestantisch-britischen Lager. Die gemäßigten Parteien beider Lager wurden mittlerweile an den Rand gedrängt, ihr Profil verschwimmt zunehmend.

derStandard.at: Hat die einzige lagerübergreifende Partei, die Alliance Party of Northern Ireland, Chancen oder muss man sich politisch im Konflikt positionieren, um Stimmen zu erhalten?

Valandro: Diese Partei hat sehr geringe politische Chancen und kaum Einfluss auf die Politikgestaltung. Auch die britischen Parteien, die Conservative Party und die Labour Party haben in diesem spezifischen regionalen System keinerlei Bedeutung. Jemand, der sich nicht zu einem Lager zuordnet, wird in nächster Zukunft keinerlei Chancen darauf haben, je mehr als 10 Prozent der Stimmen zu gewinnen.

derStandard.at: Und in ferner Zukunft? Wird sich dieses System je auflösen?

Valandro: Das sehe ich nicht. Was es gibt und was ich sehe: Der Konflikt hat sich in vielen Bereichen auf die politische Ebene zurückgezogen. Aber es ist immer noch kein Miteinander, sondern ein Nebeneinander und das wird vorerst auch so bleiben. Es existieren aber Beispiele dafür, dass die Zusammenarbeit vorbildlich funktioniert, wie in der Stadt Enniskillen. Aber es gibt leider auch zahlreiche Beispiele für Parallelgesellschaften. In Belfast sind sogar die Müllabfuhren getrennt. (Manuela Honsig-Erlenburg/derStandard.at, 6.3.2007)