"Es ist traurig, dass Sie Ihre Existenz verloren haben." Richter Friedrich Schüch vom Bezirksgericht Wien-Liesing zeigte am Montag nicht nur Mitgefühl für Shangfeng Z. (50) und dessen Ex-Gattin. Mit zwei Freisprüchen nach nicht einmal zehn Minuten Verhandlungszeit gelang dem Richter auch so etwas wie die Ehrenrettung des heimischen Rechtsstaates. Denn was die beiden chinesischen Staatsbürger in den vergangenen Jahren in Österreich erlebt haben, ist einer der größten Polizeiirrtümer der jüngeren Geschichte.

Bis vor drei Jahren waren Dr. Z. und seine Gattin Mag. T. hochangesehene Geschäftsleute sowohl in Wien als auch in China. Ihre Agentur diente als Brücke zwischen der Alpenrepublik und dem Reich der Mitte. Und zwar für junge Leute aus China, die in Österreich zur Schule gehen oder studieren wollten. Die Agentur erledigte nicht nur die komplizierten Behördenwege, sondern kümmerte sich auch um Unterkunft, finanzielle Garantien und eine Versicherung. Dafür berappen Familien in China bis zu 130.000 Yuan pro Jahr, umgerechnet rund 13.000 Euro.

Verleumdung Anfang Juni 2004 änderte sich schließlich alles schlagartig. Ob das Bundeskriminalamt von sich aus ein großes Verbrechen witterte oder möglicherweise eine Verleumdung eines "honorigen" (österreichischen) Konkurrenten ausschlaggebend war, ist bis heute ungeklärt. Jedenfalls wurde die Agentur gestürmt, alles beschlagnahmt (inklusive Sparbücher und Bargeld) und sechs Personen verhaftet. Vorwurf: gewerbliche Schlepperei. Wenig später berichteten die Medien von einem "erfolgreichen Schlag gegen die Schlepperkriminalität". Die Polizei warf Z. vor, über seine Firma 1400 Chinesen ins Land geschleust zu haben.

Wie die Kripo auf diese Zahl kam, ist ein Rätsel. In der Anklageschrift war später jedenfalls nur mehr von 77 jungen Chinesen die Rede, die seit dem Jahr 2000 mit gefälschten Zeugnissen und Studienunterlagen eingereist sein sollten. Bis zur ersten Hauptverhandlung schrumpfte die Zahl der inkriminierten "Fakten" weiter. Zu dieser Zeit hatten Herr Z. und sein Gattin bereits ein Jahr und zwei Monate in Untersuchungshaft verbracht. Am Ende des ersten Prozesses im Wiener Landesgericht blieb nichts übrig außer einer einzigen angeblichen Urkundenfälschung. Das Urteil dafür: ein Monat bedingt.

Beleidigung Doch Herr Z. empfand es als Beleidigung, für etwas verurteilt zu werden, was er nicht getan hatte. Die Verteidiger Alexander Gruber und Herbert Eichenseder legten deswegen Nichtigkeitsberufung ein. Das Urteil wurde tatsächlich aufgehoben und wegen der Geringfügigkeit des letzten Vorwurfs zur Verhandlung an das Bezirksgericht Liesing verwiesen. Und ebenda kam es Montag zu den Freisprüchen.

Der Albtraum ist für Shangfeng Z. und seine Ex-Gattin noch nicht vorbei. Nun kämpfen sie um Haftentschädigung, laut Gesetz stehen ihnen jeweils 40.000 Euro zu. Wie viel Schadenersatz die Republik für die ruinierte Firma leisten wird, müssen Gerichte klären.

Alle anderen Beteiligten wurden schon früher freigesprochen. Doch das Erlebte hat tiefe Spuren hinterlassen. Zwei der unschuldig Verdächtigten haben Suizidversuche unternommen, eine der Betroffenen leidet seit der U-Haft an Wahnvorstellungen. (Michael Simoner/DER STANDARD-Printausgabe, 06.03.2007)