Andauerende, zermürbende Schmerzen, für die Ärzte vorerst keine Erklärung finden und die Betroffene von Arztpraxis zu Arztpraxis treiben, sind Teil der Krankengeschichte jedes Fibromyalgie-Patienten.

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Fast am ganzen Körper starke ziehende Muskel- und Gelenkschmerzen, begleitet von bleierner Müdigkeit. Jeder Arzt findet eine andere Erklärung für die Beschwerden der meist weiblichen Patientinnen. Wechseljahre? Gelenkabnutzung? Der Arzt verschreibt Medikamente, ordnet Untersuchungen an. Doch eine plausible Erklärung für die Schmerzen an Wirbelsäule, Kiefergelenken, Hüfte oder Knien bleibt aus.

Schwieriger Alltag

Durch die Beschwerden fällt es Betroffenen immer schwerer, den Alltag zu bewältigen. Nächtliche Schlafstörungen lassen Betroffene wie erschlagen auf- wachen, die Glieder sind steif, die Finger geschwollen. Zusätzlich wird die namenlose Krankheit vom sozialen Umfeld oft nicht ernst genommen. Daher bringt die Diagnose den Patienten meist Erleichterung: Fibromyalgie, eine nicht entzündliche rheumatische Erkrankung der Weichteile (Muskeln, Sehnen, Bänder). Das jahrelange Ärzte-Shopping vor der Diagnose ist eine Erfahrung, die Kranke teilen.

Gar nicht so selten

Dabei ist Fibromyalgie nicht selten. In Österreich leiden laut epidemiologischen Kalkulationen rund 200.000 Menschen an dieser chronischen Schmerzerkrankung, zirka 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen. "Etwa ein Drittel der Patienten lebt, zum Teil mit erheblichen Beeinträchtigungen, ohne korrekte Diagnose", schätzt Gerhard Fürst, ärztlicher Leiter für Physikalischen Medizin am LKH Stolzalpe. Symptome wie Gelenkschmerzen, Schlafstörungen, Erschöpfung, Kreislauf- und Darmprobleme, häufig gepaart mit Depressionen und Angststörungen, würden meist gesondert durch Orthopäden, Neurologen, Psychiater, Internisten oder Hausärzte behandelt, so Fürst. "Dass all diese Beschwerden Ausdruck einer Allgemeinerkrankung sind, wird oft sehr spät erkannt", stellt der Spezialist für Schmerztherapie und psychosomatische Medizin fest, "es gibt sogar noch immer Ärzte, die an der Existenz dieses Krankheitsbildes zweifeln."

Markante Punkte

Der enorme Leidensdruck der Betroffenen ist allerdings real. Leider machen weder Blutbefunde noch Röntgenbilder die Fibromyalgie eindeutig sichtbar. Deswegen wird die Diagnose meist erst nach eingehender Untersuchung durch Spezialisten gestellt. Ein wichtiges Kriterium sind die höchst empfindlichen "Tender Points", standardisierte Druckpunkte am gesamten Bewegungssystem.

Behandlung

Zum modernen Behandlungskonzept gehören Bewegungsprogramme (Qigong, Nordic Walking, Heil- und Wassergymnastik), Manuelle Therapie, Wärmeanwendungen, Verhaltenstherapie, Entspannungstechniken und generelle Stressreduktion. Wegturnen oder wegmeditieren kann man die Schmerzen allerdings nicht. Deshalb müssen die meisten Fibromyalgiepatienten Schmerzmittel und Antirheumatika einnehmen; die Schmerz dämpfende Wirkung hält allerdings meist nur kurze Zeit an. Auch mögliche Nebenwirkungen bei jahrelanger Einnahme, so Fürst, müsste man bedenken.

Medikamente

Muskelentspannende Präparate und Opiate können zur Medikamentenabhängigkeit führen. Bestimmte Antidepressiva hingegen gehören zu den wirksamsten Medikamenten, und das, obwohl Fibromyalgie keine psychische Erkrankung im engeren Sinne ist. Die Psychopharmaka heben nämlich nicht nur die Stimmung, sondern auch die Schmerz- toleranz. "Die meisten Fibromyalgiepatienten haben massive Schlafstörungen. Antidepressiva können helfen, weil sie Schlaftiefe und Entspannungsfähigkeit verbessern", weiß Gerhard Fürst.

Initiative zu Selbsthilfe

Jedenfalls erfordern die individualisierten, multimodalen Therapien ein hohes Maß an Eigeninitiative. Die Fibromyalgiepatientin Franziska Graßmugg hat es am eigenen Leib erfahren: Ende 2001 gründete die Sozialpädagogin eine Selbsthilfegruppe in der Steiermark und in Kärnten, zu deren Aktivitäten unter anderem Beratung, Gruppentreffen Behördenwege sowie die Koordination mit den behandelnden Ärzten gehört. "Sterben werde ich nicht an der Fibromyalgie, aber mit ihr", sagt Graßmugg. Ihre chronische Erkrankung hat sie heute gut im Griff, schmerzfrei ist sie dennoch nie. (DER STANDARD, Printausgabe, Julia Harlfinger, 5.3.2007)