Die Pole Gut und Böse gibt es nicht wirklich, wie weiland Friedrich Nietzsche wusste. Vielmehr geht es im Leben um Interessenvertretungen aus den Perspektiven der Einzelnen.

Auch El Awadalla weiß das. Ihre 23 Geschichten von 23 gut-bösen Wienerinnen hat die 50-jährige Wiener Prosaistin und Dialektdichterin mit psychologischem Feingefühl und milieu- bzw. bezirkskonformem Insiderwissen geschrieben. Awadallas Protagonistinnen, die ihren Alltag so recht oder schlecht meistern, wissen meistens nicht allzu viel. Der einen oder anderen fehlt es an Reife, Bildung, Unrechtsbewusstsein oder Entschlusskraft, um das Leben gemäß der eigenen Wunschvorstellung zu bezwingen.

Oft prallen die Figuren leichtgläubig in Fallen, die das soziale Umfeld stellt. Der Aufprall ist unterschiedlich hart. Da verrät eine nicht ganz so verantwortungsbereite Mutter die nicht ganz so cleane Tochter an die Polizei, statt das familiäre Auffangbecken unter sie zu schieben. Da landet eine nach Kündigung aufgrund von Einsparungen schwer Vermittelbare in der Gosse, während der Gatte, einst Kollege, seinen Job behält. Mit der Kollegenschaft des Beamtenpärchens zerbricht auch die Ehe, und ab dem Zeitpunkt, zu dem sie den Gläubigern keine Kirchensteuer mehr verrechnen darf, lässt sie den lieben Gott sich selbst sein.

Da wird eine Hausmeisterin zum Scharlatan, als sie erkennt, wie mit der Gutgläubigkeit anderer Geld zu machen ist, fortan sich als Hellseherin präsentierend und - "die hexe gibt ihre geistige energie und kriegt dafür energie in form von geld" - das ökonomische Prinzip um den Kampf mit der Aufmerksamkeit erkannt habend.

Eine Tussi denkt nur noch an den Schönheitsschlaf im Zeitalter des Anti-Aging, doch verliert darob den Ehemann an eine gut beleibte, ungeschminkte Nebenbuhlerin, und eine jugendliche Oma verfällt aus einem ethischen Motiv heraus der Kriminalität. Süffisant erzählt Awadalla, wie sie junge Hausbesetzer unterstützt und einem Makler ins Knie schießt.

Das Spiel mit dem Wissen ist ein bisschen riskant. Es bedarf der angemessenen Dosierung. Zu viel preisgeben darf man nicht, sonst wird es fad, auch nicht zu wenig, sonst wird es noch einmal fad. Awadallas Geschichten sind es nicht. Sie zeigen eine gut durchmixte Portion an Skurrilität, Intellekt und Alltäglichkeit und entbehren auch keiner humoristischen Assets, wenn manchmal auch ein Belehrungston durchdringt. Beim Lesen kommt man darauf, wie eigenwillig und erzählenswert das Leben eines jeden Menschen ist, ist man nur dazu bereit, es von der interessanten Seite her zu betrachten. (Marietta Böning/ ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 03./04.03.2007)