Eines von Cindy Shermans "Sex Pictures" aus den frühen 90er-Jahren: Prothesen für medizinische Studien- zwecke werden zu fragmentierten, sexuell aufgeladenen Körpern montiert.

Foto: Cindy Sherman, Sammlung Schirner

Robert Mapplethorpe: "Louise Bourgeois", 1982

Foto: BA-CA Kunstforum / Robert Mapplethorpe Foundation © Robert Mapplethorpe
Überraschungen birgt die in Kooperation mit der Schweizer Fondation Beyeler entstandene Schau der großen Namen nicht.


Wien - "Die Leute sagen, ich denke zu viel über Frauen nach. Doch alles in allem, was gibt es Wichtigeres?", bemerkte Auguste Rodin einst treffend. Was seine Aussage allerdings relativiert, ist eine Vielzahl von Skulpturen, die Frauen entindividualisiert oder gleich ganz kopflos zeigen: Indizien für den männlichen Blick auf das "Objekt Frau". Zahllose Studien für Arme, Beine, Torsi unterstreichen, wie der Erotomane Rodin Frauen "zusammensetzte", wie er den Körper der Frau aus dem Fundus seines Ersatzteillagers regelrecht collagierte.

Aber immerhin weiß Rodins bronzene "Iris", die in gymnastischer Verrenkung freien Blick auf die Vulva gewährt, heute noch zu erregen. In Riehen bei Basel zum Beispiel: Dort hatte man sie für die Eros-Schau aufs Ausstellungsplakat gepackt, damit für einiges empörtes "Oho!" gesorgt und im Endeffekt ganze 91.510 Besucher generiert. In Wien war man noch feiger und lockt mit Pierre Bonnards sonnenbeflecktem Frauenakt, der ebenso wie Degas' Serien der Frauen beim Bade für Schlüsselloch-Erotik des ausgehenden 19. Jahrhunderts steht.

In diesem mehr als 100 Jahre alten Boudoir mit Frauenakten beginnt die Ausstellung, die - statt spannende Gegenüberstellungen zu ermöglichen - einer groben Chronologie gehorcht. Die anzüglicheren Werke, obwohl auch diese nicht mal den zarten Hauch von Schamesröte provozieren, sind in den letzten, kleinsten Raum gesperrt. Und für viele der Zeitgenossen, die einen wesentlich subtileren und auch frecheren Erotikbegriff repräsentieren, muss man gleich in den Keller gehen.

Wo soll man auch anfangen, wenn nicht am Anfang der Moderne? Wo, wenn nicht bei Cézanne, Manet, Renoir? Was liegt näher als Klimt und Schieles intime Zeichnungen? Und wenn sich so gut wie alle großen Meister mit dem "Urthema der Kunst" beschäftigt haben, warum sich lange aufhalten mit der Suche nach Außergewöhnlichem? Wer will darin einen Sündenfall sehen, der Versuchung zu verfallen, all die hübschen Ikonen der modernen und jüngeren Kunstgeschichte abzuspielen?

Ein bisschen Schmerz

"Wer versuchte, Erotik, exakt zu definieren, käme wohl schnell in Schwierigkeiten", erklärt Konrad Paul Liessmann im Katalog. Eben. - Und darum wirkt alles wie bei einem schnellen Brainstorming zusammengestellt, das die Spielarten der Erotik - Begehren, Maskierung, Macht, Verbot, Verletzung - nur in winzigen Andeutungen zulässt. Ein bisschen Liebessehnen bei Jenny Holzer, ein bisschen Fetisch bei Rosemarie Trockel oder Hans Bellmer. Eine Prise Schmerz bei den Bondage-Comics, die in auratisierende Vitrinen gesperrt werden, statt sie einfach mal in simplen Kopien zum Durchblättern aufzulegen.

Überhaupt ist Erotik hier Frauensache. Das heißt, sie wird fast ausschließlich anhand des weiblichen Körpers verhandelt. Daran kann auch eine Louise Bourgeois nichts ändern. In der hinteren, strengen Kammer, in Nachbarschaft der Fetischpuppen von Hans Bellmer und Cindy Sherman, präsentiert sie ihre "Filette", den Rund-50-Zentimeter-Phallus, der wie eine Handtasche keck unter dem Arm der 71-jährigen Dame klemmt. Daneben das Original, Latex mit Gipskern, das delikat an einer durch die Eichel gefädelten Metallkette aufgehängt ist.

Der Mann als Objekt der Begierde und erotische Oberfläche findet allein bei Robert Mapplethorpe und David Hockney in der homoerotischen Variante - mit etwas gutem Willen auch bei Eric Fischli - statt. Bei Picasso ist er wieder nur der penetrierende, unterwerfende Zeus mit Stierkopf. Im Gegensatz dazu zeigt der Exkurs zu den japanischen Shunga erotisch explizite Darstellungen, Mann und Frau im Gleichklang des Geschlechtsakts. Dann wären da noch die Phallus-Fantasmen von Yves Tanguy und Toulous-Lautrecs selbstironische Darstellungen des männlichen Triebs. Der Rest Frauen. Aber wie sagt Rodin: "Was gibt es Wichtigeres?" (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.3.2007)