Der "ökologische Fußabdruck" des Menschen wächst weiter: Zurzeit eignen wir uns fast ein Drittel der Primärproduktion des Globus an - Tendenz weiter steigend.

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Die Menschheit hat in den meisten Ökosystemen dieses Planeten Spuren hinterlassen. Mit dem so genannten HANPP-Konzept lässt sich berechnen, wie tief diese Fußabdrücke tatsächlich sind. Zudem lassen sich damit erstaunliche Vorhersagen treffen, wie Ökologen der Universität Klagenfurt nun zeigen.

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Der Begriff "Sustainability" oder "Nachhaltigkeit" bezeichnet im Grunde eine einfache Idee: Grob gesprochen geht es darum, der Natur durch menschliche Nutzung nicht mehr Ressourcen zu entziehen, als durch natürliche Prozesse neu gebildet werden. Das klingt simpler als es ist, und zwar nicht nur aus Gründen der praktischen Machbarkeit. Vielmehr gibt es nach wie vor keine allgemein anerkannte "Währung" zur Messung unseres Ressourcenverbrauches.

Ob eine bestimmte Maßnahme zu mehr Nachhaltigkeit führt oder nicht, wird unter diesen Umständen leicht eine Frage des Blickwinkels. In jedem Fall ist eine Größe gesucht, die sowohl ökologische als auch gesellschaftliche Parameter berücksichtigt: Niemand will eine gesunde Umwelt, in der die Menschen verhungern.

Das in den 1990er-Jahren entwickelte Konzept des "ökologischen Fußabdruckes" versucht diesem Problem beizukommen, indem es die Fläche berechnet, die eine bestimmte menschliche Population für die Produktion von Nahrungsmitteln und Konsumgütern, Abfallentsorgung und die entsprechende Infrastruktur braucht.

Je nach Lebensstil einer Gesellschaft fällt diese Fläche kleiner oder größer als das aus, was ihr nach Anzahl ihrer Mitglieder eigentlich zustehen würde, und gibt damit Aufschluss darüber, wie die Ressourcen der Erde auf verschiedene Teile der Menschheit verteilt sind.

Ein anderer Ansatz stellt unter dem sperrigen Titel "Human Appropriation of Net Primary Production" (Menschliche Aneignung der Nettoprimärproduktion), kurz HANPP, die menschliche Beanspruchung von Ökosystemen in den Vordergrund. Diese wird vor allem durch die Nutzung von Biomasse bedingt.

Organische Substanz

Unter dem Begriff "Biomasse" versteht man die gesamte durch Lebewesen anfallende organische Substanz (also Tiere, Pflanzen, abgestorbene Organismen und organische Stoffwechselprodukte) in einem bestimmten Ökosystem. Allerdings sind nur Pflanzen in der Lage, die Basis dafür zu schaffen, weil nur sie Sonnenenergie im Zuge der Fotosynthese in Biomasse umwandeln können - ein Vorgang, der als Primärproduktion bezeichnet wird.

Diese Primärproduktion ist der Beginn der meisten Nahrungsketten und damit die energetische Basis des Lebens auf der Erde. Solange die Menschheit in Jäger- und Sammler-Gesellschaften organisiert war, nützte sie die daraus entstehende Biomasse kaum anders als Tiere.

Doch mit dem Aufkommen von Landwirtschaft änderte sich das: Natürliche Ökosysteme wurden in landwirtschaftliche Flächen umgewandelt, deren Produkte fast ausschließlich dem Menschen zugute kommen. Zugleich fallen immer mehr Flächen neuen Gebäuden und Transportwegen zum Opfer, was die Produktivität der Ökosysteme verringert.

HANPP zieht einen Vergleich zwischen der Biomasse, die ein bestimmtes Areal unter natürlichen Umständen produzieren würde, und der, die unter aktuellen Bedingungen tatsächlich im System verbleibt. Die Idee dahinter ist, dass die von Pflanzen produzierte Biomasse der Energie entspricht, die einem Ökosystem als Nahrungsbasis zur Verfügung steht.

Diese Energie ist begrenzt durch die Verfügbarkeit von Sonnenlicht und die Wachstumsbedingungen für Primärproduzenten. Wird sie dem jeweiligen Ökosystem, z. B. durch Ernte oder - schlimmer - durch Versiegelung entzogen, steht allen Angehörigen des Systems weniger Energie für ihre Lebensfunktionen zur Verfügung.

Im Rahmen eines FWF-Projektes haben Helmut Haberl und seine Mitarbeiter vom Institut für Soziale Ökologie der Universität Klagenfurt die globale menschliche Aneignung der Primärproduktion in den vergangenen 300 Jahren unter die Lupe genommen.

30 Prozent nur für uns

Das Ergebnis: Die Menschheit beansprucht heute etwa 30 Prozent der globalen oberirdischen Primärproduktion - und dieser Anteil steigt weiter an. Für Österreich haben Haberl und seine Mitarbeiter um 50 Prozent höhere Werte errechnet - doch damit liegen wir nicht im Spitzenfeld. Denn die menschliche Aneignung ist in Wäldern und auf Höhen über 1800 m naturgemäß niedrig bis nicht vorhanden - und von beidem haben wir mehr als die meisten anderen Industrienationen. Dicht besiedelte Länder mit intensiver Landnutzung - etwa Indien, die Niederlande oder Großbritannien - haben eine weit höhere HANPP.

Haberl und Kollegen untersuchten auch die Beziehung zwischen Landnutzung und Artenvielfalt anhand von jeweils 600 Quadratmeter großen Flächen in Ostösterreich, die hauptsächlich von Äckern und Feldern eingenommen wurden, aber auch Wiesen, Wälder und einige verbaute Flächen beinhalteten. Auf diesen Quadraten wurde die Primärproduktion ohne menschlichen Einfluss errechnet und der tatsächlichen Primärproduktion gegenüber gestellt. Die so ermittelten HANPP-Werte wurden mit Daten zur Artenvielfalt von Gefäßpflanzen, Moosen, Heuschrecken, Schnecken, Spinnen, Ameisen und Laufkäfern in Beziehung gesetzt.

Größere Artenvielfalt

Eine vor fast 50 Jahren entwickelte Hypothese besagt, dass die Artenvielfalt in einem Ökosystem umso größer ist, je mehr Nahrungsenergie darin zur Verfügung steht: Höhere Primärproduktion ermöglicht die Existenz von mehr Individuen, die ihrerseits die Basis diverser Nahrungsketten darstellen. Die Daten aus Haberls Projekt unterstützen diese Hypothese. Spätestens, wenn die menschliche Aneignung mehr als 50 Prozent beträgt, sind negative Folgen für die Artenvielfalt nachweisbar.

Während zahlreiche Arbeiten den Verlust an Artenreichtum durch immer einförmiger werdende Landschaften zum Inhalt haben, hat sich bisher kaum jemand mit der Hypothese befasst, dass ein Absinken der zur Verfügung stehenden Energie die Ursache des Übels sein könnte. Haberl und seine Gruppe untersuchten die österreichische Vogelwelt darauf und stellten fest, dass die Produktivität eines Areals ausgezeichnet imstande ist, seine Artenvielfalt vorherzusagen.

Das zeigt, dass HANPP ein brauchbarer Indikator für menschliche Gefährdung der Biodiversität ist. Vor allem gemeinsam mit Messungen der Material- und Energieflüsse eines bestimmten Areals ist HANPP auch ein viel versprechender Kandidat für eine Sustainability-Währung. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Printausgabe, 28. Februar 2007)