Jeweils montags, mittwochs und freitags eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Es war vorgestern. Da hatte A. dann ein deja vu. Oder "deja entendu"? Und natürlich entbrannte eine Paralleldebatte: ob "deja vu" als eingedeutschter Eigenbegriff bei weiblicher Anwendung ohne Schluss-E bleiben dürfe und ob – wenn ja - das auch für "deja entendu" gelte... und so weiter. Aber zum Glück befanden sich keine Lehrer in der Runde. Und der Disput wurde unter " wurscht" abgelegt.

Aber egal ob mit oder ohne Gender-E: A. hatte, sagt sie, das Gefühl, das, was M. erzählte selbst erlebt zu haben. Aber B. war schneller – und stellte die Frage, die auch A. gerade stellen hatte wollen: Ob das vielleicht diese Bar mitten im siebten Bezirk gewesen sei?

Erstaunen

M. war erstaunt. Und dann sauer: Weil einen Unterschied mache, ob ein Kellner sich verrechne, oder ob er versuche einen Gast einmal zu linken. Das sei auch schon übel. Aber wenn in einer zufällig zusammengewürfelten Runde von zwölf Leuten fünf bei der Erwähnung des Ereignisses aus dem Stand auf das richtige Lokal tippen, meinte M., dann läge schon der Verdacht nahe, dass hier prinzipiell kreativ gerechnet würde.

M. war mit einer Freundin Happy Hour-Cocktails trinken gewesen. Nicht zum ersten Mal. Aber diesmal hatte sie – zum ersten Mal - beim Bezahlen nicht einfach die Kreditkarte gezückt und unterschrieben, sondern nach- oder mitgerechnet. Zufällig: Im Kopfrechnen, sagte M., sei sie immer schlecht gewesen – aber jetzt, nach drei Cocktails für sie und drei für ihre Freundin sei ihr etwas komisch vorgekommen. Aber was genau, gab M. zu, habe sie nicht sofort erkannt.

Ungerade Summe

Obwohl es doch irgendwie logisch sei, dass zwei idente Drinkbestellungen von je zwei identen Cocktails zur Happy Hour und noch einmal zwei (wieder identen) Vollpreisdrinks danach bei runden Europreisen nur schwer zu einer ungeraden Gesamtsumme führen könnten. Aber genau das, erzählte M., sei da gestanden. Und der Kellner habe auch darauf hingewiesen, dass (nein, nicht "ein mögliches", erinnert sich M.) Trinkgeld, nicht per Karte sondern cash abzugeben. Da, sagt M., sei sie misstrauisch geworden – und habe statt zur Kredit- zur Getränkekarte gegriffen.

Das Nachschauen, sagte M., habe sich dann ausgezahlt: Der Kellner hatte ziemlich lustige Preise verrechnet. Deutlich höher als in der Karte. In Summe hatte er sich um 15 Euro verrechnet – und als M. ihm das vorrechnete, habe es weder ein "Entschuldigung" noch ein "Hoppala", sondern nur ein grantiges "is´ ja eh nix passiert" gegeben. Und als die beiden Damen daraufhin eben kein Trinkgeld gaben, hätten auch zwei Bekannte von einem anderen Tisch im Lokal ihnen später bestätigt, dass sie sich das "auf Tussen wie euch können wir hier eh verzichten" nicht eingebildet hatten.

Fehlerverteilung

M. hatte die Geschichte ohne den Barnamen zu nennen in die Runde geworfen. Und B. fragte als erster, ob das denn die Bar mitten im Siebten gewesen sei. Dort wäre ihm und seinem Geschäftspartner derlei öfters passiert. Verrechnen könne ja durchaus vorkommen, habe er sich bei den ersten beiden Malen gedacht. Und weil drei oder vier Euro bei einer mittelhohen zweistelligen Rechnung nicht wirklich ins Gewicht fielen, habe er zunächst auch nichts gesagt, meinte B. Auch, weil die Normalverteilung von Rechenfehlern auf Dauer ja dazu führen müsse, dass auch zu Gunsten des Gastes falsch addiert werde. In Summe also ein Nullsummenspiel herauskäme.

Bloß sei dem halt nicht so gewesen, erzählte B: Über ein Vierteljahr sei er mit seinem Kollegen regelmäßig nach der Arbeit gekommen – nie habe die Rechnung gestimmt. Immer zu ihren Lasten. Irgendwann, so B., hätten sie begonnen, mitzuschreiben. Und nach ein paar Monaten hätten sie der Barmannschaft dann eine Bilanz vorgelegt. Mit Rechnungsbons, Kreditkartenbelegen und Drink-Protokollen. Das Resultat, so B., sei mit M.s Erlebnis vergleichbar: Das Thekenteam sei sehr grantig geworden – und habe ein Lokalverbot verhängt. Ausdrücklich lebenslänglich, fügte B. schmunzelnd hinzu.

Das Pärchen, das Anfangs gleichzeitig mit A. etwas sagen wollte, nickte: Sie hätten dort auch einmal begonnen nachzurechnen – und dürften seither nicht mehr in diese Bar mitten im Siebten. Aber wieso es eine Strafe sein soll, nicht mehr beschissen zu werden, hätten sie schon bei der Verhängung des Lokalverbotes nicht wirklich nachvollziehen können. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 26.02.2007)