Christoph Maria Herbst als Bernd Stromberg.

Foto: ProSieben
In der Weltgeschichte kommt es selten vor, dass sich das Volk für ein Ekel einsetzt. Aber genau das geschah im November 2005, als der TV-Sender ProSieben verkündete, er wolle seine Comedy-Serie Stromberg absetzen. Die zutiefst komischen Episoden aus dem alltäglichen Wahnsinn bei der Versicherung Capitol mit ihrem narzisstischen und überheblichen stellvertretenden Bereichsleiter "Schadensregulierung M-Z" Bernd Stromberg liefen in der zweiten Staffel. Die hatte bis dato allerdings durchschnittlich nur rund 13 Prozent der Zielgruppe angelockt. Eine Quote, mit der ein marktwirtschaftlich getrimmter Privatsender kaum zufrieden sein kann. Vor allem, weil die Serie nach dem sonntäglichen Blockbuster gut positioniert war. Stromberg war ohnehin ein seltsames Phänomen: Von Kritik und Presse hochgelobt ("eine Ausnahme im deutschen TV", taz) und mit Preisen (Grimme, Bayerischer Filmpreis etc.) überschüttet, hatte die Serie im Netz eine recht aktive Fan-Gemeinde versammelt. Die große Zuschauerschwemme blieb allerdings aus.

Internet-Petition

Im Internet lässt sich heute noch gut verfolgen, welche Empörung die Nachricht der Absetzung nach sich zog. Mit Unverständnis reagieren da Schreiber, habe man doch endlich eine TV-Serie geschaffen, die unter dem üblichen "Schund" und "Brei" heraussteche. Erklären konnten sich viele die miesen Quoten nicht, schließlich wusste jeder zu berichten, dass er nur Leute kenne, die Stromberg schauten, die wiederum kannten ebenfalls nur Leute, die ebenfalls alle Stromberg schauten, und alle wussten zu berichten, dass man sich amüsiere.

Die Betreiber des Stromberg-Fanclubs starteten eine Internet-Petition, auf der sich innerhalb von fünf Tagen über 150.000 Fans für das Weiterleben der Serie aussprachen. Den Sender mag das zu einem positiven Entschluss beeinflusst haben, schließlich macht sich so eine Perle gut für das Image, auch wenn die Wirtschaftlichkeit auf der Strecke bleibt. Die dritte Staffel startet nun am 5. März. Der Langenscheidt-Verlag hat zudem gerade das Buch "Chef-Deutsch, Deutsch-Chef. Klartext am Arbeitsplatz" veröffentlicht, um ein wenig Licht in die geheimnisvolle Sprache der Vorgesetzten zu bringen (siehe Interview unten). Wer könnte das besser als der Guru unter den Klartextlern, Bernd Stromberg?. In heiteren Lektionen wie "Chefwerdung", "Büro ist Familie" oder "Der Umgang mit ... Frauen" lernt man vor allem, dass Chefs die eigentlichen Meister des Subtextes sind. Sagt der Chef also: "Wir sind hier doch alle eine große Familie!", dann meint er natürlich: "Wir sitzen hier jeden Tag unfreiwillig aufeinander und können nichts daran ändern. Machen wir das Beste draus!" Anscheinend dürstet es die Menschen nach einer rettenden Hand, die sie aus dem kryptischen Sumpf der Bürowelt zieht. Das Buch scheint ein vorprogrammierter Bestseller.

Mockumentary

Der Erfolg der in Doku-Form (wegen ihres spöttischen Tons auch Mockumentary genannt) gedrehten Serie beruht auf einer in der deutschen TV-Landschaft recht seltenen Komik. Gängig ist eine derbe und dumpfe Überladungs-Comedy, die poltert und kalauert - ohne Rücksicht auf feine Doppelbödigkeit und subtile Charaktere. Das vermeintlich dargestellte Leben wirkt so wie ein nicht nachvollziehbarer Zustand auf einem anderen Planeten, der ab und zu das Zwerchfell reizen mag, aber sonst schlicht gar nichts. Stromberg dagegen ist prall aus dem Leben, übertrieben und überspitzt natürlich, aber immer so wahrhaftig, dass es schmerzt, dass man, von Abscheu oder Peinlichkeit berührt, zusammenzuckt oder gar nicht hinschauen kann. Denn dieser Stromberg ist rassistisch, rechthaberisch, revisionistisch, ein Macho, Chauvinist, Opportunist, ein Angeber, ein Kotzbrocken vor dem Herrn zwar, aber eine nicht sonderlich ehrgeizige Chef-Figur - insgesamt also ein Typ mit einer ganzen Armee an Persönlichkeitsstörungen.

Und dennoch ist Stromberg nicht unsympathisch. Das ist die Kunst des Autors Ralf Husmann und des Schauspielers Christoph Maria Herbst, der Stromberg als "zu Fleisch gewordenen Schrei nach Liebe" beschreibt, ein Mensch, der "sich selbst im Weg steht" und eigentlich "jemand anders sein will." Man kann das sehen, wenn Stromberg unbeholfen Körperkontakt sucht, seine Kollegen ohne jedes Körpergefühl zu umarmen, Frauen beim Badminton mit grotesken Slapstick-Einlagen zu umgarnen sucht, oder wenn eine eigentlich emotionale Abschiedsrede in einem Schwall von Beleidigungen kulminiert. "Ne, ohne Scheiß, ihr seid ein toller Haufen! Auch Erika ... auch wenn ich wieder Blitzherpes kriege, wenn ich sehe, wie sie mit ihren dicken Wurstfingerchen in diesem Glas da verschwindet."

Erschreckend vielschichtig

Stromberg ist eine erschreckend vielschichtige Figur. Herbst holt das aus dem zynischen Fiesling so grandios heraus, dass man ihm bereits mehrmals bescheinigt hat, es sei die Rolle seines Lebens. In seiner Einsamkeit und Wirrnis erscheint er als postmodernistischer Racheengel, ein mehrfach gebrochener, eigentlich gescheiterter und orientierungsloser Mensch in einer ewigen Krise, der sich das Leben und seine Wahrheiten so erklärt, wie er es gerade braucht. Natürlich politisch vollkommen unkorrekt. "Ich sag mal, nach 45 kommen doch die besten Jahre. So war's doch auch mit Deutschland."

Die Boshaftigkeit des Humors ist neu im deutschen Privatfernsehen. Es ist mutiger Humor, für den man dem Autorenteam glatt eine genialische Eingebung bescheinigen müsste - wenn die Serie keine Kopie wäre. Zwar ist das Büro seit den Achtzigern vom Fernsehen häufiger als Mikrokosmos menschlicher Beziehungen unter die Lupe genommen worden, allerdings waren die Ergebnisse bieder bis dämlich. Wieder einmal musste die britische BBC kommen, um zu zeigen, wie man es besser macht. Ricky Gervais und Stephen Merchant lieferten mit The Office ab 2001 die Sitcom-Blaupause. Beide hatten mehrere Büro-Jobs gehabt und wollten eine Serie über eine Welt machen, "von der viele wussten, sie aber nicht kannten". In The Office heißt der Ekel-Boss David Brent (genial gespielt von Gervais), im Vergleich zu Stromberg ist er allerdings noch böser, hinterhältiger - und philosophischer. Zudem hält er sich für einen begnadeten Musiker und Entertainer. Seine abgründigen Eskapaden sind für den Zuschauer so schmerzhaft, dass sie häufig ein Gefühl des Unwohlseins hinterlassen. Sein Urheber Gervais sagt, dass Brent kein schlechter Mensch sei. Er sei einer von denen, die nicht so viel erreicht haben, wie sie zu erreichen gedacht hatten. "Er befindet sich in einer Krise. Und diese Krise kennen viele Menschen. Das macht ihn zu einem relativ normalen Menschen."

Eklatante Fehleinschätzung

Husmann bestritt anfänglich eine Ähnlichkeit Strombergs mit Brent und erklärte, eine Figur aus einem TV-Sketch Ende der 90er-Jahre habe ihn zu Stromberg inspiriert, allerdings kaufte ProSieben nach einer Klagsdrohung der BBC die Rechte nachträglich - die Ähnlichkeiten waren zu frappierend. Typisch, kann man nun urteilen. Auch wenn Stromberg eine Kopie ist, es ist eine verdammt gute Kopie! Was mitunter an den kernigen Sprüchen liegt, die Stromberg in jeder Folge im Stakkato über die Lippen gehen. "Ich bin ja ein sehr geselliger Typ, aber nicht zwingend mit anderen Leuten."

Bernd Stromberg leidet unter einer eklatanten Fehleinschätzung, nicht nur seiner selbst, sondern auch der Welt, die ihn umgibt. Er kann sich weder körperlich noch semantisch klar artikulieren. Seine dadaistischen Weisheiten und verklausulierten Chef-Botschaften werden mittlerweile im Internet gesammelt wie klassische Aphorismen. Der Langenscheidt-Verlag hat diesen Erfolg zum Anlass genommen, ein Buch herauszubringen, um ein wenig Licht in die geheimnisvolle Sprache der Vorgesetzten zu bringen. Und: Der Erfolg scheint zu beweisen, dass es eine Menge Chefs gibt, die eine ordentliche Portion Stromberg in sich tragen. Das stimmt nachdenklich. (Ingo Petz/DER STANDARD; Printausgabe/Album, 24./25.2.2007)