Von der Germanistik zur Rechtsprechung: August Reinisch

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Der Begriff Völkerrecht klingt für August Reinisch nach Krieg, Frieden und Entdeckern. Deshalb bevorzugt der Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien die Bezeichnung Internationales Recht. Denn heute geht es vor allem um Schiedsverfahren zwischen Staaten und Unternehmen, die auf deren Gebiet investieren. Bilaterale Verträge werden geschlossen, die im Streitfall ein unabhängiges Tribunal garantieren, bei dem jede Partei einen Schiedsrichter nominieren darf.

Enteignung heißt heute nicht „russische Revolution gegen die besitzende Klasse“, so Reinisch, sondern vielmehr Schutz vor regulatorischen Maßnahmen, die den Wert einer Investition nachhaltig mindern. „Wir sind als Geisteswissenschafter gefordert zu analysieren und zu kommentieren“, so der Spezialist für Völker- und Europarecht.

Derzeit werden an seinem Institut zwei Projekte vom Wissenschaftsfonds finanziert: Entscheidungen im Bereich Investitionsschutz sollen analysiert werden, um Trends in der Rechtsprechung festzumachen. Denn „wenn zwei Tribunale zur gleichen Rechtsfrage unterschiedlich bis gegenteilig entscheiden, ist das für die Rechtssicherheit der Anwender schlecht“, erläutert August Reinisch. Das zweite FWF-Projekt ist Teil von „International Law in Domestic Courts“, einer international vernetzten Datenbank, die nationale Rechtsprechung zu völkerrechtlichen Belangen aufbereiten soll. Diese kommentierte Sammlung von Gerichtsentscheidungen im Originaltext wird im März bei Oxford University Press online gehen.

”Ein guter Völkerrechtler muss akribisch nach Quellen suchen”

Der 1965 Geborene studierte zunächst „aus Überzeugung Germanistik und keineswegs leidenschaftlich Jus“ – obwohl die Fächer für ihn viel gemeinsam haben: denn es geht in beiden um die Interpretation von Texten. Die Literaturanalyse war ihm bald zu subjektiv, „ein Urteil hingegen kann ich zwar ablehnen, aber immer nachvollziehen“. Ein guter Völkerrechtler muss „akribisch nach Quellen suchen, Sachverhalte klassifizieren und dahinter stehende politische Interessen bedenken“, meint er. Und so wie er selbst auf Englisch publizieren.

Seit fünf Jahren ist der Wiener zudem Schiedsrichter am ICSID (International Centre for Settlement of Investment Disputes) in den USA. Ehrenamtlich arbeitet er als Mitglied der Schiedsinstanz für den Nationalfonds an der Restitution von in der NS-Zeit entzogenen Liegenschaften. Für einen UNO-Unterausschuss widmet sich der Jurist der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen. Ausgelöst wurden freiwillige Verhaltenskodizes durch Klagen und Boykotte seit den 1970er-Jahren, nicht zuletzt als Protest gegen die Produktion mit Sozial- und Umweltdumping in Entwicklungsländern.

„Freiwillige Selbstverpflichtung funktioniert nur bei Firmen, die einen Ruf zu verlieren haben“, gibt sich Reinisch skeptisch. Als „juristischen Balanceakt“ bezeichnet er den Weg zu einem menschenrechtlichen Minimum, das am Sitz vieler multinationaler Unternehmen selbstverständlich gilt.

Als Ausgleich zu seiner Arbeit unternimmt er viel mit seiner Frau und den beiden Kindern im Alter von zehn und zwölf Jahren: Wintersport, Mountainbiking, Laufen und Tennis. Literatur ist immer noch eine Leidenschaft. Und die Musik. Das Spektrum des Opernfans reicht dabei weit: von Bach bis Chet Baker. (Astrid Kuffner/ DER STANDARD, Printausgabe, 21. Februar 2007)