Warschau - Mit Blaulicht rast die Wagenkolonne des deutschen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert durch Polens Hauptstadt. Die Zeit drängt. Auf dem Militärflughafen von Warschau steht schon eine Bundeswehrmaschine vom Typ Challenger für den Abflug bereit. Plötzlich bremst der erste Wagen der Kolonne. Auch die anderen halten ruckartig. Nur der Bus mit den Journalisten hat einen längeren Bremsweg, kracht auf den BMW des deutschen Botschafters und wird von hinten von einem Polizeiwagen gerammt. Zwar fliegen alle im Bus durcheinander, doch niemand wird verletzt. Nummernschild und Reservereifen bleiben liegen. Der Polizeiwagen ist fahruntüchtig. Doch die Kolonne rast weiter, vorneweg der Bundestagspräsident und sein polnischer Amtskollege Marek Jurek.

Kaputte Challenger

Auf dem Militärflughafen die nächste Hiobsbotschaft: Die über 20 Jahre alte Challenger ist kaputt. Notgedrungen müssen Lammert und seine Delegation auf einen Linienflug umsteigen. Marek Jurek, der Sejm-Marschall, hat sich da schon verabschiedet. Die Erleichterung, den deutschen Gast nach drei Tagen wieder loszuwerden, ist seinem Mienenspiel anzusehen.

"Es gibt Schlimmeres", meint Lammert lakonisch. Doch die Reise hätte kaum symbolträchtiger enden können. Um "Vertrauen" hatte der Bundestagspräsident in Polen geworben, immer wieder. Doch vom Staatspräsidenten über den Regierungschef bis zum Sejm-Marschall und den Studenten in Warschau und Skierniewice hört Lammert immer wieder dieselben Zweifel: "Wie können wir Ihnen vertrauen, wenn die Deutschen hinter unserem Rücken Gasgeschäfte mit den Russen machen? Wenn Deutsche und Russen eine Gaspipeline an uns vorbei bauen, sodass die Russen uns ganz leicht den Hahn zudrehen können."

Lammert gibt den Schwarzen Peter an die Schröder-Regierung weiter. Die habe es versäumt, die Polen in die Verhandlungen über die Ostsee-Pipeline miteinzubeziehen. Aber es gebe Lösungen, die man im Gespräch finden könne. Marek Jurek schüttelt nur den Kopf. Er sieht keinen Diskussionsbedarf: "Wir sind gegen diese Pipeline."

Auch der Appell Lammerts, nicht nur über Versöhnung zwischen Polen und Deutschen zu reden, sondern sie auch zu praktizieren, stößt auf Widerspruch: "Wie können wir den Deutschen trauen, wenn sie bis heute nicht bereit sind, die Vertreibung der Deutschen als Kriegsfolge zu akzeptieren?" fragen ihn Studenten der wirtschaftlich-humanistischen Hochschule in Skierniewice. Viele Polen fürchten, dass die Eigentumsklagen deutscher Vertriebener vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg gegen Polen eine Lawine an weiteren Klagen auslösen könnte. Betroffen wäre dann ein Drittel des polnischen Staatsgebiets.

Indignierter Ton

Auch für Polens Premier Jaroslaw Kaczynski ist das eine angsteinflößende Vorstellung. "Warum entschädigt Deutschland seine eigenen Vertriebenen nicht so, wie es Polen mit seinen Vertriebenen aus Ostpolen tut?", fragt er Lammert in indigniertem Ton. Denn die Antwort glaubt er schon zu kennen. Prompt hört er, dass Berlin "keinen Handlungsbedarf" sehe, da es die Forderungen der Vertriebenen für unbegründet halte und sie nicht unterstütze.

Außenministerin Anna Fotyga sitzt schweigend dabei. Vor gut einer Woche hatte sie im Beisein ihres deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier einen "großen Fortschritt" in den deutsch-polnischen Beziehungen verkündet. Die beiden Regierungen würden eine gemeinsame Erklärung zu den unberechtigten Forderungen der deutschen Vertriebenen unterzeichnen. Das scheint nun wieder in weite Ferne gerückt. (Gabriele Lesser, DER STANDARD, Printausgabe, 19.2.2007)