Halfpipe in Breckenridge.

Foto: Jeff Cricco/CTO

Das Skigebiet Keystone.

Byron Hetzler/CTO
Mike Rathers liest den Wetterbericht, schmeißt dann die Zeitung in die Ecke. Schneefall ist angesagt, 35 Zentimeter, in den nächsten 24 Stunden. Für Mike Rathers, Arbeiter auf dem Flughafen von Denver, bedeutet das vor allem: Arbeit. Zwar muss er mit seinen Kollegen nicht gerade die Startbahn frei schaufeln, oder Flugzeuge enteisen, aber am Sperrgepäck-Schalter rollen nun den ganzen Tag diese schwarzen, schweren Koffer aus der Luke: Ski- und Snowboard-Säcke im Sekundentakt.

Nach Denver kommen Fluggäste nicht mit Rollkoffern, sondern mit Ski, Angeln oder Jagdgewehren im Gepäck, Freizeit-Instrumenten, die man eben braucht, um sich die Berge untertan zu machen. Kondensstreifen leuchten rot im Abendlicht. Bereits vom Rollfeld aus sieht man die weißen Spitzen der Rocky Mountains am Horizont. Das Dach des internationalen Flughafens bildet dazu das Spiegelbild: aus de Betonkonstruktion ragen Dreiecke wie Berggipfel in den Himmel. Es könnten aber auch Indianer-Zelte sein, ein Spielplatz, auf dem man was erleben kann.

Das Bergmassiv sieht aus dem Flugzeug aus wie eine weiße Oase in einer Wüste aus Braun- und Grautönen. Trockenheit und hohe Temperaturen haben das Skifahren in Europa zu einem Rallye-Sport gemacht - es geht über Stock und Stein. Der Mythos des Tiefschneeparadieses in Amerika ist noch verlockender. 7,80 Meter Schnee misst man in Colorado in einem durchschnittlichen Jahr. Dazu kommen 300 Sonnentage. Über Besucherrekorde wie im Jahr 2006, als 12,53 Millionen Menschen nach Colorado kamen, muss man sich nicht wundern.

Der höchste Ski-Lift in Nordamerika

Auf den Spuren der amerikanischen Pioniere dringt man auf der Interstate in die Rocky Mountains vor. Peak 2, Peak 3, Peak 4 heißen die Berge hier nur, wahrscheinlich weil die Entdecker bei der Erstbesteigung keine Kraft mehr hatten, sich poetische Namen zu überlegen, sondern in jedem Gipfel nur eine weitere Stufe auf dem Weg nach Westen sahen. An alten Silberminen und riesigen Holzdepots vorbei erreicht man nach zwei Stunden Fahrt die Ski-Ressorts der so genannten "Frontrange" wie Copper Mountain oder Breckenridge.

Seit diesem Jahr fährt der "Imperial Express Super Chair" bis auf fast 15 000 Fuß oder 4000 Meter - der höchste Ski-Lift in Nordamerika. "Bedecken Sie ihre Hautfläche - Erfrierungen drohen", steht auf einem Holzschild, das auf eine perfekte Art und Weise schief im Schnee steckt. Die weichen Bergformen und dichte Bewaltung legen einen Weichzeichner über die hochalpine Erfahrung: Erst als der arktische Wind durch die Goretex-Jacke zischt, erinnert man sich wieder daran, dass man nicht in einem europäischen Mittelgebirge ist.

Auf dem Gipfel wird auch deutlich, was die amerikanischen Skigebiete auszeichnet. Es sind nicht Tiefschneehänge und der Champagner-Powder. Obwohl 15.000 Menschen auf dem Berg unterwegs sind, sieht man sie nicht wie in Europa als Ameisen über die Abfahrten krabbeln. Von jeder Bergstation führt eine derartige Vielfalt an Abfahrten ins Tal, dass die Menschen zwischen Bäumen, Steilhängen und kleinen Klippen verschwinden.

In Breckenridge oder Keystone sind mehr als doppelt so viele Pistenraupen unterwegs als in einem europäischen Alpen-Gebiet vergleichbarer Größe. 24 Stunden am Tag werden die Pisten hier "ge-groomed", wie man sagt, also: frisiert und gekämmt. "Today's grooming", steht auf einer Tafel an der Bergstation, auf der besonders gut gepflegte Pisten empfohlen werden. Es sieht aus wie ein Menü. Dazu passt, dass die Abfahrten in Colorado nicht nummeriert sind, sondern Namen wie Psychopath, Northstar oder Crescendo tragen. Die Pisten sind nicht nur ein Weg ins Tal, sondern ein Produkt, das dem Kunden eine bestimmte Wirkung verspricht: Entspannung, Adrenalin, Harmonie oder Balance.

Kernige Menschen in unbeheizten Hütten

Nach dem Skitag weht ein Duft-Mix aus Gasoline und Grillfleisch über den Parkplatz. Hier ist Amerika ganz bei sich, und trifft sich in den alten Saloons, in denen sich die Menschen schon seit mehr als 100 Jahren die Kälte aus den Knochen treiben, oder in der Breckenridge Brewery, auf ein lokales Avalanche-Bier.

Breckenridge ist eine alte Goldgräberstadt, die 1859 gegründet wurde. Bei den Bauarbeiten zum Besucherzentrum in der Mainstreet fand man die Überreste einer historischen Blockhütte, die in die neue Struktur integriert wurden: konserviert hinter Glas sieht man alte Werkzeuge, Holzbalken und die Tapeten aus Zeitungen mit dem Datum 12. Oktober 1873. An der Wand hängen Auszüge alter Postkarten, die "Breck", wie es auch genannt wird, als "Hölle" beschreiben, die Bevölkerung als "Gruppe ziemlich rauer Individuen". Nicht alles hat sich verändert. Zwar leuchtet in Breckenridge nun bis Ende Februar die Weihnachts-Dekoration. Aber in den Bars findet man immer noch eine Menge kerniger Menschen: Snowboardprofis im Trainingscamp, Ski-Verrückte von der Ostküste und die so genannten "Ski-Bums", die Clochards des Winters, die sich mit Aushilfsjobs ihren Liftpass verdienen und mit ihren Hunden in unbeheizten Hütten neben dem Lift wohnen.

Die Ski-Bums arbeiten wie Thomas, 27, aus Chicago, als Skilehrer "um endlich in den Bergen und im Schnee zu leben". Der ehemalige Investment-Banker hatte schon mit 25 Jahren ein "Burnout-Syndrom" und sich daraufhin in die Berge zurückgezogen. Er lebt nun in einer Parallel-Welt, die von Aktienkursen und der Nachrichtenlage abgekoppelt ist, und in der man die vergehende Zeit nicht in Sekunden sondern in Wintern misst.

In Breckenridge ist die alternative Szene zu Hause, Menschen, die für das Skifahren leben, und so vergisst man schnell, dass Wintersport in Colorado ein Milliardengeschäft ist. Die Firma "Vail Resorts", die die Gebiete Breckenridge, Keystone, Beaver Creek und Vail betreibt, ist mit 8000 Angestellten der größte Arbeitgeber in Colorado und ein aktienotiertes Unternehmen, das der Investment-Firma Appolo gehört, aber auch schon einmal im Besitz des Unterhaltungsgiganten 21st Century Fox war. Skifahren ist eben auch nur ein Konsumprodukt. Und wie immer in Amerika ist auch die Highend-Version erhältlich. 50 Kilometer tiefer in den Bergen. Mit exklusivem Wein, Zigarren und Limousinen-Service. Willkommen in Beaver Creek!

Die Luxus-Variante

"Happy Valley" heißt das Tal. Durch ein Holztür gelangt man in den abgeriegelten Ort, das Shangri-La des Schnees. Beaver Creek hat in den letzten Jahren Aspen den Rang als exklusivster Wintersportort abgelaufen. Tiger Woods und Tom Hanks verbringen hier ihre Weihnachtsferien. Wenn der Luxus überall ist, dann fällt er auch nicht mehr auf: Rolltreppen bringen die Skifahrer aus der Tiefgarage zum Lift, die Fußgängerzone ist beheizt, die Gas-Feuer stehen wie silbern glänzende Bäume in einer Allee. Jeden Tag um 15 Uhr verteilen die Küchenchefs der Luxusrestaurants an der Talstation frisch gebackene Cookies.

In BC sind die Pisten nach Vogel- und Blumenarten benannt. Das Gebiet ist ein Landschaftsgemälde. Pinien, kleine Klippen und Baumgruppen, Wellen und leichte Kurven machen die Piste zu einer Komposition von Bewegungen. Die Abfahrten sehen aus wie ein gut designtes Par-3-Loch. Der Golf-Vergleich drängt sich auch in der Mittagspause auf. Die großen Hotels wie das Ritz oder Hyatt betreiben auf dem Berg private Skihütten wie "Zach's Cabin" oder "Beano's Cabin", die aussehen wie ein Golfclub.

In der Garderobe stehen Hausschuhe bereit, das Personal stellt die Skistiefel vor den lodernden Kamin. Das Design orientiert sich am Look der alten Welt. England im Engadin: raues Holz, Karostoffe und ein Lüster aus Geweih. Um in "Beano's Cabin" mit Blick auf die Weltcupabfahrt "Birds of Prey" zu dinieren, muss man Mitglied im "Beaver Creek Club" sein, der Aufnahmegebühr von 165 000 Dollar und einen Jahresbeitrag von 20 000 Dollar verlangt.

Oder man freundet sich im Lift mit einem Member an. Die Charmeoffensive lohnt sich: die Atmosphäre ist entspannt. Wenn alle Geld haben, muss man nicht mehr damit angeben, kann sogar mal einen Witz über sich selbst machen. An der Talstation werden in BC am Ende des Skitages kostenlos Postkarten verteilt. Das beliebteste Motiv: zwei Skifahrer kreuzen durch einen einsamen Tiefschneehang. Darunter steht: "Der letzte der unten ankommt, zahlt den Kaviar." (Tobias Moorstedt/Der Standard/RONDO/16.2.2007)