Welchen Sinn sollte der Koralmtunnel ergeben, wenn sich Regierung und EU nicht auf eine europäische Tangentiale verständigen? Keinen. Außer jenem der Landesräson - als Lex Haider und (vor einigen Jahren) Lex Klasnic. So schien es bis vor Kurzem, hatten doch die Landeshauptleute fast nur noch vom Koralmprojekt gesprochen und vom Semmeringtunnel bloß am Rande.

Seit Freitag ist, zumindest rhetorisch, alles anders. Gusenbauer, Voves und Faymann sprechen von einer durchlaufenden Bahnlinie mit zwei Megatunnels und stellen in diesen Kontext wohl auch den Wiener Zentralbahnhof. Weil Vizekanzler Molterer in den Tagen davor auf die Einhaltung von Verträgen pochte, kriegt diese Verkehrsutopie einen realen Kern.

Mit einigen großen Fragezeichen.

1. Die Finanzierung. Natürlich kann man heutzutage alles finanzieren. Aber fast alle Verkehrsprojekte der letzten Jahrzehnte haben, über normale Preissteigerungen hinaus, erheblich mehr gekostet als zunächst behauptet. Einer der schärfsten Transitgegner, der Tiroler Fritz Gurgiser, rechnet jüngste Entwicklungen vor: Die Kosten der Unterinntrasse, noch lange nicht fertig, sind von anfangs 1,1 Mrd. Euro auf zwei Mrd. Euro gestiegen.

2. Der Betrieb. Da nur die Container-Fracht wirklich entscheidend ist, muss die Konkurrenz auf der Straße mitbedacht werden. Weil die Autoindustrie mittlerweile eine völlig neue Brummer-Generation entwickelt, muss auch das Preisgefüge unter diesen Gesichtspunkten betrachtet werden. Denn der touristische Verkehr zwischen Wien und Klagenfurt ist nebensächlich. Selbst die Politiker werden weiterhin mit dem Auto oder dem Flugzeug reisen.

3. Die Politik. Der niederösterreichische Landeshauptmann Pröll bereitet sicher schon seinen nächsten Auftritt in dieser Sache vor. Es wäre eine Riesenüberraschung, würde er einem Semmeringbasistunnel plötzlich ohne Wenn und Aber zustimmen. Das Gegenteil ist erwartbar, ein Teilrückzug der ÖVP-Spitze möglich.

Dem Industriestandort Österreich hat die Unentschlossenheit der vergangenen Jahre bei der Realisierung dieser Bahnprojekte sicher geschadet. Nicht zu Unrecht weist Gurgiser in einer Aussendung des Transitforum Austria-Tirol darauf hin, die Projekte des Österreichischen Generalverkehrswegeplans seien "versteckte Subventionen aus österreichischem Steuergeld für nationale und internationale Baukonzerne".

Dazu kommt ein Interesse aufseiten des Maschinenbaus. In Zeltweg steht eines der wenigen international konkurrenzfähigen Werke für Tunnel-Baumaschinen. Da entsteht gewaltiger Einsatz- und Innovationsbedarf. Hieße dieser Standort nicht Zeltweg, sondern St. Pölten, hätte Erwin Pröll wohl nie gegen den Semmeringtunnel opponiert.

Nicht zu vergessen der parteipolitische Aspekt. Ein realer Baubeginn noch vor den nächsten Wahlen in der Steiermark und in Kärnten würde Voves gegen die ÖVP ebenso helfen wie der SPÖ-Kandidatin Schaunig in Klagenfurt. Haider hätte ein Argument weniger in seinem politischen Überlebenskampf.

Umstritten bleibt: Sind solche Mammutprojekte überhaupt zu rechtfertigen? Sind sie im Zeitalter des wachsenden Wissenstransfers und der Profite daraus überhaupt noch die wichtigsten Infrastruktur-Vorhaben? Sollten die Bahnen also bloß nachgerüstet und das meiste Geld in Forschung und Unis gesteckt werden?

Der Süden Österreichs beruft sich freilich auch auf historische Benachteiligungen. Jahrzehntelang genossen Österreichs Westen und damit auch die Verbindungen von Wien dorthin einen Vorrang bei staatlichen Investitionen. Dann kamen 1989 und die Jahre der Öffnung. Slowenien und Kroatien mutierten in Zukunftsmärkte, allein die Infrastruktur fehlte. Und fehlt teils noch immer.

In Wien sieht man den steirischen Süden, aber auch Kärnten immer noch als Urlaubsziele. Nicht viel mehr. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10./11.2.2007)