Wien - "Rat mal, wer intimste Informationen per Internet abrufen darf?" Diese Frage dürfte sich in wenigen Jahren jedem Österreicher nach Einführung der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) stellen. Von jeder heiklen Diagnose bis zu den verwendeten Arzneimitteln reicht die Palette der Informationen, die bald von Gesundheits-Dienstleistungs-Anbietern via Computer abrufbar sein sollen. "Wir wollen mittun. Wir verlangen aber eine Mitbestimmung bei der technischen und organisatorischen Ausgestaltung", sagte Dienstagabend bei einem Hintergrundgespräch der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Dr. Reiner Brettenthaler.

Wie Google

Damit soll es vorbei sein: Dicke Mappen mit zum größten Teil veralteten medizinischen Informationen sollen die Patienten der Zukunft nicht mehr von Arzt zu Arzt, von Spital zu Spital herum schleppen müssen. Die Alternative des EDV-Zeitalters laut Mag. Gerhard Holler, Stellvertretender Kammeramtsdirektor der ÖÄK: "Das geplante System hat gewisse Ähnlichkeiten mit 'Google'. Man gibt den Namen des Patienten ein und bekommt die Auskunft, wo man weitere Informationen erhält. Im Gegensatz zu 'Google' ist allerdings nicht vorgesehen, dass jeder eine solche Anfrage an das System richten kann. Der Patient muss den Arzt dazu legitimieren."

Im Grunde ist der Zug zu dieser Art von "lebensbegleitender" Gesundheitsinformation international abgefahren. Die EU will die Realisierung solcher Projekte, Großbritannien hat ein derartiges System bereits teilweise realisiert, Dänemark führt eine Basis-Version derzeit ein. In den USA soll bis 2014 die elektronische Gesundheitsakte flächendeckend eingeführt sein, in Kanada soll das bei 50 Prozent der Patienten bereits bis zum Jahr 2009 erfolgen. Das bedeutet auch Milliarden-Investitionen für Soft- und Hardware sowie die Folgekosten für Betrieb und Wartung des Systems.

Dem entsprechend heftig an ELGA interessiert sind bereits internationale Computerkonzerne. In Österreich liegt derzeit eine Machbarkeitsstudie vor, ausgerechnet von IBM. In einer "ARGE ELGA" sind Bund, Bundesländer und Hauptverband der Sozialversicherungsträger vertreten. Holler: "In einer ersten Ausbaustufe ist vorgesehen, die Daten von Labors, Röntgenärzten und Spitälern abrufbar zu stellen."

Vertraulichkeit gewährleisten

Freilich, was sich soziale Krankenversicherung, Bund, Bundesländer sowie die interessierte Computerindustrie an Nutzen erhoffen, steht der Wahrung höchster Geheimhaltung gegenüber. Wer will schon wirklich Hackern oder gar Erpressungen zur Datenfreigabe ausgeliefert sein, was seine Gesundheit angeht. Brettenthaler: "Für uns gibt es hier derzeit mehr Fragen als Antworten." Rechte und Pflichten der Patienten, Rechte und Pflichten der Ärzte sowie Kosten und Nutzen für das Gesundheitssystem seien noch nicht geklärt. Der Kammerchef: "Die Vertraulichkeit der Daten muss gewährleistet sein - und zwar unabhängig von den technischen Neuerungen."

Datenschützer, Krankenversicherte - also de facto jeder Österreicher sowie Ärzte und die Angehörigen weiterer Gesundheitsberufe könnten an tausenden Stellen das geplante System zu Fall bringen. Kann man jeden Menschen als Patienten zum Mitmachen per (Verfassungs-)Gesetz verdonnern? Können Ärzte die Freiheit behalten, nicht mitzumachen? Der Standesvertreter: "Derzeit stehen Nutzen und Kosten in keiner Weise fest. Die Vermeidung von Doppelbefunden allein kann es nicht sein." Im Endeffekt wird es ohne die Beteiligung Aller nicht gehen. Brettenthaler: "Ein unvollständiger (ELGA-)Patientenakt ist nicht nützlich, sondern sogar schädlich." Die Proponenten des geplanten Systems sollten mit den Sorgen und Anliegen von Menschen und Ärzten jedenfalls sorgsam umgehen. (APA)