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Auch die Protestkultur weiß, was sie dem "ganzheitlichen Denken" schuldig ist: Öko-Aktivisten in Politiker-Masken vor der Pariser Klimakonferenz.

Foto: REUTERS/Benoit Tessier
Das Gegeneinander-Ausspielen von Weltproblemen ist die schlechteste Antwort auf manch überzogene Klimawarnung - Ein Nachtrag zur Debatten-Seite über Erderwärmung und Medienhysterie.

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Der Weltprobleme gibt es wahrlich genug, und der Klimawandel ist nur eines davon. Dass er dieser Tage etwas mehr Aufmerksamkeit erfährt, ist nur gut, dass Einzelne dabei, wie gestern an dieser Stelle thematisiert, in den Warnungen und Szenarien übers Ziel schießen, erweist der Sache keinen Dienst, ist aber, wie andere zu erkennen scheinen, auch nicht das eigentliche Problem. Besonders solange nicht, als nicht einmal die "aufgeheizte" Debatte bisher zu wirkungsvollen Maßnahmen geführt hat.

Ein effektiver Weg, tief greifende Maßnahmen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben, ist die neue Mode, Weltprobleme gegeneinander auszuspielen. So belehrte uns zunächst Björn Lomborg, dass wir der Bekämpfung von Aids und der Versorgung aller Menschen mit Trinkwasser Vorrang einräumen sollten. In seinen Fußstapfen meint der Geologe Hans Egger, dass der Einsatz gegen den Klimawandel "im Sand verlaufen" würde, solange wir nichts gegen das Bevölkerungswachstum unternähmen.

Erstens hat niemand gesagt, dass wir nur noch den Klimawandel bekämpfen und alles andere vergessen sollten; zweitens ist innerhalb der Kreise, die auf die Lösung aller globalen Probleme drängen, ganzheitliches Denken die Regel geworden, dem gegenüber die Hintanreihung ausgerechnet der komplexen Klimaproblematik einen Rückschritt darstellt; drittens sind eben Weltprobleme so eng verflochten, dass dies gar keinen Sinn machen würde.

Die Devise müsste demnach lauten: gemeinsam die Weltprobleme lösen, anstatt sie gegeneinander auszuspielen. Auf der Agenda von WTO und G8 stehen jedoch "isolierte" Themen wie Handelsliberalisierung oder der Schutz geistigen Eigentums; nicht die ganzheitliche Lösung von Klimawandel, Armut und Bevölkerungswachstum.

Ein EU-Lehrbeispiel für Nichtganzheitlichkeit bereichert seit letzten Sonntag die Klimadebatte. Porsche-Chef Wendelin Wiedeking erklärte den "Wirtschaftskrieg". Gemeinsam mit den Chefs von DaimlerChrysler, VW, Ford und Opel attackierte er in einem Brief die Kommission. Ihre Klimaschutzpläne stellten eine "massive industriepolitische Intervention" dar, die zu einer "gravierenden Verzerrung des Wettbewerbs" und dadurch zu "schwersten Verwerfungen" in der gesamten europäischen Automobilindustrie führen würde. "Zahlreiche Standorte und Arbeitsplätze" seien in Gefahr, drohten die Autobosse.

Anlass der Aufregung ist die Initiative von Umweltkommissar Stavros Dimas, die CO2-Emissionen von Neuwagen auf durchschnittlich 120 Gramm pro Kilometer zu drosseln - per Gesetz. Dieses Vorhaben ist schon zehn Jahre alt, doch der heftige Widerstand der Autohersteller führte 1998 zu einer freiwilligen Reduktionsvereinbarung, von damals 185 Gramm pro Kilometer auf 140 Gramm bis 2008. Ein Jahr vor Ende der Frist beträgt der EU-Schnitt mehr als 160 Gramm pro Kilometer, Mercedes liegt bei 186, Porsche bei 297 Gramm. Deshalb die Rückkehr zum Gesetz. Ist das ein Wirtschaftskrieg?

Dass Unternehmen Partikularinteressen lobbyieren, ist zumindest nachvollziehbar; wirklich schmerzhaft ist, dass Kommissionsvizepräsident Günter Verheugen den "Kampf" der Autokonzerne unterstützt. Seine Parteinahme für die Mobilitätsform mit der geringsten Ressourceneffizienz zeigt, dass Nachhaltigkeit in der EU noch immer kein durchgängiges Prinzip ist und geringer bewertet wird als die Wettbewerbsfähigkeit. Die Freiheit von Porsche, einen Cayenne mit 500 PS zu produzieren, gilt Verheugen mehr als die Freiheit kommender Generationen, in einer sicheren Umwelt zu leben. Ob der Lebensort Erde geschützt wird, ist egal, Hauptsache der Standort Europa bleibt unversehrt.

Bei genauerem Hinsehen stimmt das Standortargument gar nicht: 1. Innerhalb der EU wird keinerlei Wettbewerb verzerrt, weil die Regeln für alle gleich gelten. 2. Im globalen Wettbewerb soll die EU ihren "Vorteil" in der Produktion schmutziger Autos sehen? Ist das das europäische Nachhaltigkeitsmodell, der ökosoziale Vorausritt? Auf ein paar tausend Arbeitsplätze in der S-Klasse-Produktion sollten wir gerne verzichten, wenn stattdessen viele tausend im Bereich erneuerbare Energien, öffentlicher Verkehr und Mikromobilität entstehen.

Der Verkehrsclub Deutschland hat berechnet, dass eine umweltgerechte Mobilität mehr Jobs schaffen würde als die Verteilung von großen Benzinmengen auf Einzelpersonen. Im Gegensatz zu Porsche und Mercedes schaffte er es aber nicht auf das Titelblatt der Bild am Sonntag.

Umso entscheidender ist die Positionierung Verheugens. Es ist sein Verdienst, dass die Kommission innerhalb einer Woche einknickte und auf 130 Gramm pro Kilometer nachgab - ein schöner Erfolg für den Lobbyismus. Ein "ganzheitlicher" Industriekommissar wäre nicht Sprachrohr für technologische Besitzstandwahrer, sondern Mediator des ökologischen Strukturwandels. Der "Standort Erde" braucht innovative und global denkende Politiker/Wissenschafter und keine Kommissare, die europäische Machowerte und Machtnetze konservieren. (DER STANDARD, Printausgabe, 8. Februar 2007)