Foto: Concorde Filmverleih
Wien – Deutschland, 1943. Hinter Schreibmaschinen machen sich junge Männer daran, letzte Vorkehrungen zu treffen, um ihrem Führer ein "judenreines" Berlin zu schenken. Diesem schlaglichtartigen Blick auf die anonymen Schreibtischtäter, der hier auch den prekären Beigeschmack einer dramaturgischen Routine hat, folgen jene auf die konkreten, tödlichen Auswirkungen ihres Tuns auf Individuen:

Insgesamt 688 Menschen werden aufgespürt, zusammengetrieben und in Viehwaggons gen Osten verfrachtet. Einige ergeben sich in ihr Schicksal, andere werden irre an der Situation. Die Hauptfiguren – ein Ex-Boxer (Gedeon Burkhard) und seine Familie, ein Kaufmann (Roman Roth), seine Verlobte (Sibel Kekili) sowie ein alter Komiker (Hans Jürgen Silbermann) und seine Pianistin (Brigitte Grothum) – versuchen Widerstand und Flucht zu organisieren.

Der letzte Zug ist für seinen Kameramann und Regisseur Joseph Vilsmaier, Jahrgang 1939, nicht die erste filmische Berührung mit der Zeit des Nationalsozialismus und ihren Auswirkungen auf individuelle Lebensgeschichten: die "einfachen Leute" (Herbstmilch), die Wehrmachtssoldaten (Stalingrad), die Unterhaltungskünstler (Comedian Harmonists, Marlene) – in seinem jüngsten, gemeinsam mit Dana Vávrová inszenierten Film sind sie alle zugegen, aber diesmal hat sich die Perspektive verkehrt.

Der letzte Zug ist ein beklemmendes Kammerspiel. Er versucht nachzubilden, wovon man sich nur schwer ein Bild machen kann: hundert Personen sechs Tage und Nächte lang in der Enge und Hitze eines abgeschlossenen Raumes, ein Eimer Wasser für alle und ein anderer für die Notdurft. Die Rückblenden, die diese Situation mit weich gezeichneten Erinnerungen an glückliche Tage in Freiheit konterkarieren, wirken vor diesem Hintergrund auch für den Film wie erlösende Fluchten. So als wäre er sich der Grenzen des Darstellbaren bewusst, während er diese gleichzeitig immer schon überschritten hat.

Lebensthema

Der letzte Zug ist auch der letzte Film, den Artur Brauner produziert hat. Der legendäre, mittlerweile 88-jährige Gründer der CCC-Film, der selbst der Verfolgung durch das NS-Regime entkommen konnte, hat das deutsche Nachkriegspublikum erfolgreich mit Unterhaltungsfilmen versorgt. Zugleich hat er sich bereits seit 1947/48 – mit Morituri – dem Projekt verschrieben, dieses Publikum auch an die Opfer des Holocaust zu erinnern.

Den Vorwurf, der auf manche zeitgenössische Produktion zutrifft, dass sie sich nicht für Geschichte interessiere, dass sie eine (beliebige) Erzählung mit der Bezugnahme auf den Holocaust spekulativ auflade, kann man diesem Film sicher nicht machen. Jenen, dass er in der konventionellen Wahl seiner Mittel nicht selten daneben greift, jedoch schon. (Isabella Reicher/ DER STANDARD, Printausgabe, 03./04.02.2007)